Wenn viele Menschen das Wort „Amputation“ hören, denken sie sofort an den Verlust eines Gliedes und die damit verbundenen Herausforderungen. Allerdings berichten Amputierte häufig, dass sie ihre verlorenen Gliedmaßen noch spüren können, ein Phänomen, das als „Phantom-Gliedmaßen-Phänomen“ bekannt ist. Forscher haben sich mit diesem Phänomen befasst und versuchen zu verstehen, wie Amputierte ein intaktes Modell ihres Körpers im Kopf behalten.
Körperschema ist das interne Modell eines Organismus seines eigenen Körpers, einschließlich der Position seiner Gliedmaßen. Dieses Konzept wurde erstmals vom Neurowissenschaftler Henry Hyde vorgeschlagen und ermöglicht es uns, dieses Phänomen genauer zu untersuchen.
Das Körperschema unterscheidet sich vom Körperbild, bei dem es um die Wahrnehmungen, Einstellungen und Überzeugungen der Menschen über ihren Körper geht. Körperschemata sind die sensomotorischen Fähigkeiten, die Bewegung und Körperhaltung steuern. Es ist ersichtlich, dass Amputierte ihre verlorenen Gliedmaßen immer noch spüren können, weil das Körperschema im Gehirn die Existenz dieser Gliedmaßen noch immer beibehält.
Dieses Konzept lässt sich auf die Forschungen von Henry Hyde und Gordon Morgan Holmes im frühen 20. Jahrhundert zurückführen. Damals beobachteten sie eine Dysregulation der räumlichen Darstellung bei Patienten mit Schädigungen bestimmter Hirnareale. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Konzept weiter und es zeigte sich, dass Körperschemata eine Vielzahl von Funktionen umfassen, beispielsweise die Bewegungsverfolgung und die Wahrnehmung externer Objekte.
Laut Forschungen der Neurowissenschaftler Patrick Haggard und Daniel Volpert verfügen Körperschemata über bestimmte räumliche Kodierungsfunktionen und können Informationen basierend auf mehreren Quellen wie Berührung und Sehvermögen integrieren.
Bei Amputierten kommt es häufig zu Phantomgliedern, einem Phänomen, das auf Körperschemata beruht. Selbst wenn ein Glied verloren geht, scheint das Gehirn auf die Empfindungen in diesem Teil zu reagieren. In Studien geben 90–98 % der Amputierten an, ihre verlorenen Gliedmaßen zu spüren, und in einigen Fällen können diese Phantomglieder sogar Schmerzen verspüren, die als „Phantomgliedmaßenschmerzen“ bezeichnet werden. Dieses Phänomen unterstreicht die Flexibilität des Körperschemas und stellt unsere Wahrnehmung der physischen Existenz in Frage.
Das Auftreten des Phantom-Gliedmaßen-Phänomens kann durch die Fehlausrichtung sensorischer Neuronen im Gehirn erklärt werden. Diese Neuronen können sich neu organisieren und mit benachbarten kortikalen Bereichen verbinden, was dazu führt, dass Amputierte das „nicht vorhandene“ Glied immer noch spüren.
Das Körperschema ist nicht statisch; es wird ständig aktualisiert, wenn das Individuum wächst und sich die Umgebung verändert. Wenn Menschen lernen, Werkzeuge zu benutzen oder neue Bewegungen auszuführen, passen sich die Körperschemata an. Wenn eine Person beispielsweise gewohnheitsmäßig ein neues Werkzeug verwendet, wird dieses Werkzeug auch vom Gehirn in das Schema des Körpers integriert. Dies gilt insbesondere für ungewohnte Handbewegungen. Untersuchungen zeigen, dass das menschliche Nervensystem eine extrem hohe Plastizität aufweist und sogar Eingaben von externen Objekten schnell integrieren kann.
Durch Experimente mit der „Gummihand-Illusion“ haben Wissenschaftler bewiesen, dass Körperschemata in wenigen Sekunden neu organisiert werden können, was die Zufälligkeit und Flexibilität von Körperschemata zeigt.
Körperschemata hängen neben der Selbstwahrnehmung auch eng mit dem Werkzeuggebrauch zusammen. Während der Einzelne übt, wird das Werkzeug in das Körperschema integriert, was nicht nur das Ergebnis von Wirbelsäulenreflexen ist, sondern auch kognitive Prozesse auf höherer Ebene umfasst. Ob einfache Alltagswerkzeuge oder komplexe manuelle Vorgänge: Das Körperschema spielt bei diesen Prozessen eine Schlüsselrolle.
Interessanterweise hat die neurowissenschaftliche Forschung sogar gezeigt, dass die neuronalen Reaktionen auf die Verwendung von Werkzeugen denen der Hände ähneln, was darauf hindeutet, dass das Gehirn das Werkzeug bei der Verwendung immer noch als Teil seines eigenen Körpers behandelt. Dies stärkt die Theorie weiter, dass das Körperschema über den physischen Körper hinausgehen und externe Objekte in seinen Geltungsbereich einbeziehen kann.
Durch die Untersuchung des Phänomens der Phantomglieder können wir nicht nur ein tieferes Verständnis der Körperschemata erlangen, sondern auch erforschen, wie das Nervensystem auf die Abwesenheit des Körpers reagiert. In zukünftigen Forschungen könnte uns dies dabei helfen, effektivere Rehabilitationsprogramme zu entwickeln, um Amputierten dabei zu helfen, ihr Bewusstsein und die Kontrolle über ihren Körper wieder aufzubauen.
Diese Studien wirken sich nicht nur auf die klinische Praxis aus, sondern stellen auch unser Verständnis der Verbindung zwischen Bewusstsein, Selbst und Körper in Frage und erinnern uns daran, darüber nachzudenken, was das Konzept „Körper“ wirklich ausmacht.
Wenn wir ein tieferes Verständnis von Körperschemata und verwandten Phänomenen erlangen, stellt sich natürlich die Frage: Wenn das Gehirn Gliedmaßen nach dem Verlust noch „wahrnehmen“ kann, was ist dann die wahre Definition des Körpers?