In der physikalischen Chemie liegt eine Übersättigung vor, wenn die Konzentration eines gelösten Stoffes in einer Lösung die Löslichkeit dieses gelösten Stoffes im Gleichgewicht übersteigt. Dieses Phänomen betrifft hauptsächlich feste gelöste Stoffe in Flüssigkeiten, es kann jedoch auch bei Flüssigkeiten und in Flüssigkeiten gelösten Gasen auftreten. Eine übersättigte Lösung befindet sich in einem metastabilen Zustand und kann durch Dissoziation überschüssiger gelöster Stoffe, Zugabe eines Lösungsmittels zur Verdünnung oder Erhöhung der Löslichkeit des gelösten Stoffes ins Gleichgewicht zurückkehren.
Die Untersuchung übersättigter Lösungen geht auf frühe Experimente mit Natriumsulfat zurück, einem Salz, das sich ideal für die frühe Forschung eignete, da seine Wasserlöslichkeit bei steigender Temperatur abnimmt.
Mit der Zeit wurde den Wissenschaftlern allmählich klar, dass der Kristallisationsprozess übersättigter Lösungen nicht, wie bislang angenommen, allein auf Rühren beruht, sondern dass zum Starten des Kristallisationsprozesses die Zugabe fester „Keime“ erforderlich ist. Dieses Konzept wurde vom berühmten Chemiker Gay-Lussac erweitert, der auf den Einfluss der Kinematik der Salzionen und der Eigenschaften des Behälters auf den übersättigten Zustand hinwies. Henry Lowell schlug später vor, dass Kristallisationskerne in der Lösung und den Behälterwänden den Kristallisationsprozess katalysierten.
Wenn die Temperatur einer gesättigten Lösung geändert wird, wird die Lösung einer Verbindung in einer Flüssigkeit übersättigt. Im Allgemeinen verringert sich mit sinkender Temperatur die Löslichkeit und der überschüssige gelöste Stoff trennt sich rasch in Form von Kristallen oder amorphem Pulver von der Lösung. Es gibt jedoch Fälle, in denen das Gegenteil der Fall ist. Rekristallisation ist ein Verfahren zur Reinigung chemischer Verbindungen. Dabei wird eine Mischung aus Verunreinigungen und Lösungsmittel erhitzt, bis die Verbindung gelöst ist. Anschließend werden die verbleibenden Verunreinigungen herausgefiltert und anschließend die Temperatur gesenkt, um die Lösung kurzzeitig zu übersättigen.
Diese Prozesse veranschaulichen das Verhalten übersättigter Lösungen und weisen darauf hin, dass winzige Kristalle oder Glaspartikel als Kristallisationskerne wirken können.
Die Löslichkeit eines Gases in einer Flüssigkeit nimmt mit zunehmendem Druck des Gases zu. Bei Reduzierung des Außendrucks wird das überschüssige Gas aus der Lösung freigesetzt. Beispielsweise sprudeln kohlensäurehaltige Getränke, weil sich Kohlendioxid unter hohem Druck in der Flüssigkeit löst. Beim Öffnen der Flasche sinkt der Druck und das Gas entweicht in Form von Bläschen. Bei Tauchern besteht bei einer Übersättigung des Körpers mit Gasen beim Auftauchen die Gefahr einer Dekompressionskrankheit.
Im pharmazeutischen Bereich finden übersättigte Lösungen praktische Anwendung. Durch die Herstellung einer übersättigten Lösung eines Arzneimittels kann das Arzneimittel in flüssiger Form eingenommen werden. Dieser übersättigte Zustand des Arzneimittels kann die Aufnahme im Körper fördern, und selbst in kristalliner Form eingenommene Arzneimittel können im Körper einen übersättigten Zustand bilden. Dieses Phänomen wird als interne Übersättigung bezeichnet. Mithilfe von Werkzeugen zur Identifizierung übersättigter Lösungen können Meeresökologen die Aktivität von Organismen und Populationen untersuchen, um die biologische Produktivität einer Region zu bestimmen.
In der Atmosphärenwissenschaft ist die Existenz einer Übersättigung seit den 40er Jahren bekannt. Wenn die Troposphäre mit Wasserdampf übersättigt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Wasser gefriert. Dies zeigt die Bedeutung von Übersättigungsphänomenen in der Meteorologie und den Umweltwissenschaften.
Wenn Wassermoleküle übersättigt sind, kann die relative Luftfeuchtigkeit manchmal über 100 % erreichen, ein Phänomen, das Wissenschaftler noch nicht eingehend erforscht haben.
Übersättigte Lösungen wecken nicht nur die Forschungsbegeisterung der Wissenschaftler, sondern enthüllen auch die Logik hinter vielen mysteriösen Phänomenen in der Natur. Welche Gesetzmäßigkeiten und Wirkungsmechanismen gelten bei diesen Extremzuständen?