Angewandte Chemie | 2019

Pack die Sonne in den Tank: Zur Weiterentwicklung nachhaltiger Energiesysteme

 

Abstract


Der Umbau von Energiesystemen hin zu nachhaltigen Lösungen schreitet seit einigen Jahren voran. Damit kann seine Wirkung im Klimaschutz durch Projektionen abgeschätzt werden. Dies geschieht hier für die Region der Europäischen Union. Das Resultat wird mit den Zielen des Pariser Klimavertrages verglichen. Es zeigt sich, dass zusätzliche qualitativ andersartige Maßnahmen ergriffen werden müssen. Der Umbau von Energiesystemen um Treibhausgase zu vermeiden schreitet voran. Die techno-ökonomische Reife der physikalischen Wandler (PV, Windräder) von Sonnenenergie in elektrischen Strom treibt den Umbau an. Daraus leitet sich die Vorstellung ab, dass der Wandel der Energiesysteme durch Dekarbonisierung, den Verzicht auf Kohlenstoff als materiellem Energieträger erfolgt. Der Einsatz von PV und Windrädern auf systemrelevanten Skalen zeigt allerdings die Grenzen der Belastung des Stromsystems durch die Volatilität auf. Gedämpft wird diese Wirkung durch stabile Erneuerbare Energie‐Ressourcen (RES) wie Biomasse und Wasserkraft. Speicherlösungen[1] mit Batterien sind bereits im Einsatz, sie können aber nicht auf die Dimension eines Stromsystems skaliert werden. Diese Dimension wird durch Chemische Energie Konversion CEC erreichbar[2], welche als zentrales Element die Wandlung von Strom zu Wasserstoff aufweist. Dieser wird zu leicht transportierund speicherbaren molekularen Folgeprodukten[3] gewandelt. Damit wird das Ziel einer Dekarbonisierung teilweise aufgegeben und ein technischer Kohlenstoffkreislauf tritt in einem stabilen nachhaltigen Energiesystem auf. Dieser besteht aus einem Subsystem für die Sammlung und Aufbereitung von CO2 und einem weiteren System von CEC Prozessen, die das CO2 mit Wasserstoff zu neuen Energieträgern umsetzen. Die Familie von Verfahren[4] wird als Carbon Capture and Use (CCU) bezeichnet. Das Ziel der De-fossilisierung muss allerdings weiter gelten, um den technischen Kohlenstoffkreislauf so klein wie möglich zu halten. Diese Bedingung folgt aus dem erheblichen Verlust von Prozesseffizienz[5] wenn man RES in stoffliche Energieträger wandelt. Damit CEC und Wärmeerzeugung Energiesysteme wirksam stabilisieren können, bedarf es einer gesamthaften Betrachtung[6] mit einem Energieaustausch zwischen den Sektoren Strom, Mobilität, Wärme und Materialsynthese. Diese Betrachtung eliminiert zudem den Einwand[7] einer möglichen „Doppelzählung“ der Vermeidung von CO2. Bisher wird CCU oftmals im Zusammenhang mit dem Ersatz von fossilen Quellen in der chemischen Industrie für die Herstellung von Chemikalien genannt[4, 8]. So attraktiv diese Option ist, so begrenzt ist ihr Potential für eine klimarelevante Reduktion der Treibhausgasemission. Dieser Teil von CCU wird strategisch bedeutsam[9] in einer Zeit, in der fossile Rohstoffe für die chemische Industrie knapp werden. Eine unverzichtbare Rolle spielen CCU Prozesse in Energiesystemen mit geschlossenen Stoffkreisläufen für die Einbindung industrieller Grundprozesse, die nicht ohne die Verwendung von Kohlenstoff oder die Emission von CO2 auskommen können (Zementherstellung, Stahlindustrie etc). Im hiesigen Kontext wird CCU jedoch als ein Teil des Energiesystems mit den großen Komponenten Strom, Mobilität und Wärme betrachtet. Eine Alternative zu diesem komplexen Ansatz stellt die Kombination von RES und fossilen Trägern gekoppelt mit einer Speicherung des entstanden CO2 in der Geosphäre[10] durch Carbon Capture and Storage (CCS) dar. Dieses System ist wesentlich einfacher, benötigt weniger Energieaufwand und kann aus heute existierenden Technologien im relevanten Zeitraum und in wirksamer Größe realisiert werden. Ein entscheidender Nachteil dieser auch kostengünstigen Lösung ist, dass es sich dabei um kein nachhaltiges System handelt, da der Kohlenstoffkreislauf nicht geschlossen wird und die langfristigen Konsequenzen für die Geosphäre nicht kontrollierbar sind. In Abbildung 1 sind die entsprechenden Ansätze gegenüber gestellt. Die Zahlenangaben sind modellhaft zur Illustration der relativen Größenordnungen gewählt. Im heutigen Modell sind die Sektoren getrennt und RES wird in der Stromerzeugung eingesetzt. Für 20 RES Einheiten spart man 20 Einheiten an CO2 Emission. Im CCU Modell B wird sehr viel RES benötigt. Die Sektoren sind gekoppelt. Es werden noch 50 Einheiten CO2 aus stabilisierten anderen Sektoren als dem letztlich emittierenden Mobilitätssektor frei gesetzt. Allein für die dafür nötigen CCU Prozesse werden 200 RES Einheiten benötigt. Dies ist mehr, als RES in allen Sektoren direkt eingesetzt wird (170 Einheiten). Für 470 RES Einheiten spart man 250 CO2 Einheiten. Dieses Modell hat alleine das Potenzial durch Rückführung des CO2 mittels Biomasse oder durch „direct air capture“ DAC [11]weitgehend bis auf die unvermeidlichen Quellen der Materialherstellung nachhaltig zu werden. Die CCU Option wird dann zyklisch. Allerdings steigt der RES Verbrauch dann nochmals an. Im Modell C wird CCS zur Vermeidung von CO2 Emission eingesetzt. Der geringe Eigenverbrauch der CCS Technologie wird durch 20 RES Einheiten gedeckt. Dann verbleibt eine Restemission von 50 CO2 Einheiten für den Einsatz von nur 190 RES Einheiten, die überwiegend direkt in den Sektoren zum Einsatz kommen. Dieses Modell kann allerdings nicht nachhaltig werden, da es den Kohlenstoffkreislauf nicht schließt. Da die Technologieeinheiten „carbon capture and transport“ in den Modellen B und C gleich geartet sind, könnte man Modell C als Brückentechnologie zu Modell B einsetzen, bis ausreichend RES verfügbar sind. Damit würde Zeit gewonnen für den Umbau der Energiesysteme aber es verbleiben die Langzeitrisiken, die mit der Nutzung der Geosphäre verbunden sind. Die Debatte um CCU vs. CCS wird mit hoher Intensität und Emotionalität („it is a monstrous thermodynamic crime to reduce CO2“, Paul Fennell in[12]) geführt. Ein zentrales Element dieser Debatte ist die Bewertung von Effizienzen in den Prozessketten der Energiewandlung. Dieses Feld leidet unter dem Fehlen einer anerkannten Methode zur Definition von Systemgrenzen und unter dem Fehlen validierter Parameter die als Ersatz mit sehr unterschiedlichen Annahmen geschätzt werden. Abbildung 1: Strukturen von Energiesystemen. Die Zahlen sind willkürliche Rechnungseinheiten. Es werden keine Verluste für Prozesse und Transporte berücksichtigt. Effizienzfaktoren sind 2,5 für elektrisches Fahren und 4,0 für CCU. (A) heutige Struktur, (B) ein lineares CCU Modell, (C) ein CCS Modell. Die Debatte entwickelt sich zu einem Hemmschuh für den Umbau des Energiesystems[5, 13], da die zwingend erforderlichen Flexibilisierungsmaßnahmen[6] im Stromsystem von dieser Entscheidung maßgeblich beeinflusst sind. Hier hilft offenbar auch nicht der Vorschlag[14] in beide Richtungen zu gehen um schnellstmöglich mit der gezielten Verringerung der CO2 Emission voranzukommen. Die Dringlichkeit, diesen Hemmschuh für die Entwicklung der Energiesysteme zu beseitigen, folgt aus der Betrachtung der bisher erreichten Fortschritte. Für den EU Raum sind aggregierte Kenndaten in Abbildung 2 zusammen gestellt. Abbildung 2: Kenndaten der Entwicklung des Energiesystems der EU. Das eingeschobene Bild vergleicht den Gesamtenergieverbrauch (schwarz) mit der Menge an importierten Energieträger (incl. Uran, braun) und den erneuerbaren Energien (grün). Deren zeitlicher Verlauf ist in anderem Maßstab auch in der Hauptabbildung dargestellt. Die Entwicklung des Energieverbrauches (blau, linke Achse) ergibt, dass heute ein etwa gleich hoher Energiebedarf besteht wie vor 25 Jahren. Diese nicht-lineare Entwicklung überrascht, da sich die Wirtschaft und der Konsum durchaus fortentwickelten. Die Verbesserung der Energienutzung dürfte auf eine Veränderung der Struktur der Wirtschaft im Zuge der Globalisierung zurückzuführen sein. Darauf weist der stetig steigende Energieanteil für Mobilität und Transport hin. Die Treibhausgasemission (rot, rechte Achse) folgte bis vor ca. 10 Jahren der Energiekurve um danach deutlich zurückzugehen. Diese Entwicklung dürfte auf einen Rückgang des Anteil der Produktion an der Wirtschaftsleistung gekoppelt mit einem Rückgang des Kohleanteils im Energiemix, auf die verstärkte Verwendung von Gas als Energieträger, auf die Verbesserung der Energieeffizienz in der Wirtschaft und auf zahlreiche weitere hier nicht zu entschlüsselnde Effekte zurückzuführen sein. Wesentlich hat weiter die verstärkte Nutzung von RES (grün, rechte Achse) beigetragen. Allerdings flacht sich der steile Zuwachs der vergangenen 10 Jahre derzeit langsam ab. Dies zeigt die kleine Grafik zusammen mit der Entwicklung der Importabhängigkeit, die deutlich zugenommen hat. Ursache dafür ist der Wandel des Energiemix weg von Kohle hin zu Öl und Gas. Die EU hat ihre Treibhausgasemission nicht nur durch Änderungen in ihrer Wirtschaftsstruktur verlagert, sondern tatsächlich den Umbau hin zur Nachhaltigkeit soweit vorangetrieben, dass er in der Entwicklung der Treibhausgasemission erkennbar wird. Die Europäische Umweltagentur[15] hat diesen Trend auf Grund der Meldungen aller Mitgliedstaaten über ihre Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion für die kommenden 15 Jahre prognostiziert und kommt zu dem Schluss, dass sich der Trend zur Reduktion der Treibhausgasemission leicht verstärken wird (siehe Trend in Abbildung 2). Man erwartet einen Rückgang der Treibhausgasemissionen um 32% bis 2035 bezogen auf das Jahr 1990 und damit eine Verfehlung des Ziels von 40%. Die Abbildung zeigt weiter, dass diese Fehlentwicklung sich noch wesentlich stärker auf die Erreichung des Klimaziels von 85% bis 2050 auswirken wird, das massiv verfehlt werden wird. In der Konsequenz zeigt die Abbildung, dass es zusätzlicher drastischer Maßnahmen zur Beschleunigung des Umbaus des Energiesystems bedürfen wird, wobei ein zeitlich linearer Zubau von RES keine ausreichende Maßnahme sein kann. Es verbleibt die Aufgabe ein nachhaltiges Energiesystem nachvollziehbar zu konzipieren[14, 16]. Ausgehend von den bisher erreichten Veränderungen sollten möglichst viele

Volume 131
Pages 349-354
DOI 10.1002/ANGE.201808799
Language English
Journal Angewandte Chemie

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