Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz | 2019

Cannabis für medizinische Zwecke: Dynamische Rahmenbedingungen – sachgerechte Information

 
 

Abstract


Mit dem „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ wurden im März 2017 in Deutschland Cannabisarzneimittel grundsätzlich allen Patientinnen und Patienten für medizinische Zwecke zugänglich gemacht. Maßgeblich hierfür waren nicht neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur medizinischen Anwendung von Cannabis, sondern Entscheidungen vonoberstenGerichten,wie dem einleitenden Artikel zur Vorgeschichte des Gesetzes zu entnehmen ist. Erstmals können nun Cannabisarzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschrieben werden, auch wenn diese arzneimittelrechtlich nicht als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Ein Systembruch. Eine reproduzierbare pharmazeutische Qualität ist die Voraussetzung für eine sichere Versorgung mit Cannabisarzneimitteln. Cannabisblüten müssen ebenso wie andere pflanzliche Drogen und Extrakte als pharmazeutische Ausgangsstoffe, die zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden, eine geeignete pharmazeutische Qualität aufweisen. EntsprechendeQualitätsnormen werden in den Einzelmonografien des DeutschenArzneibuchs (DAB)beschrieben. In seinem Beitrag stellt D. Manns die Entwicklung der CannabisblütenMonografie für das DAB dar und berichtet über den Entwicklungstand von Monografien für das Europäische Arzneibuch. Über die Monografien der Arzneibücher hinaus gibt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im Deutschen Arzneimittel-Codex/ Neues Rezeptur-Formularium sowohl Monographien für die Qualität cannabinoidhaltiger Ausgangsstoffe als auch Rezepturvorschriften heraus, wie A. Kiefer in seinem Artikel darlegt. Darin werden die Herausforderungen für die Ärzteschaft bei der Ausstellung von Rezepten zu Cannabisextrakten und -blüten ebenso deutlichwie die Anforderungen an die Apotheke bei der Prüfung der pharmazeutischenQualität von Ausgangsstoffen und der Herstellung standardisierter Rezepturarzneimittel, die für eine adäquate Patientenversorgung unerlässlich sind. Im Jahr 1964 gelang erstmals die Isolierung von Δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, die insgesamt weit mehr als 500 Einzelstoffe enthält. Nach der Entdeckung des Endocannabinoidsystems Ende der 1980er Jahre weitete sich die Forschung aus. Den aktuellen ForschungsstandzudenCannabinoidrezeptorengibt der Beitrag von C. E. Müller wieder. AufdenSystembruch indermedizinischen Versorgung mit Cannabisarzneimitteln haben wir bereits hingewiesen. Umso wichtiger ist es, wissenschaftliche DatenzuWirksamkeitundSicherheit zusammenzutragen,wie es u. a. in demForschungsprojekt „Cannabis: Potenzial und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse“ (CaPRis) geschehen ist. In ihrem Beitrag stellt E. Hoch die Ergebnisse zur medizinischen Anwendung dar. Dabei stehen die Anwendungsgebiete Schmerz, Spastik bei Multipler Sklerose, Übelkeit und Appetitlosigkeit im Vordergrund, wobei die Effekte oft nur klein waren. Da sich chronische Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Gewichtsabnahme häufig bei Tumorpatienten finden, liegt hier die Anwendung von Cannabisarzneimitteln nahe. Allerdings lässt sich aus der bisher verfügbaren Literatur keine klare Empfehlung hierzu ableiten. So kommt auch T. Rasche in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass ein Therapieversuch mit Cannabinoiden bei Tumorschmerzen und zur Gewichtssteigerung nur erwogen werden sollte, wenn andere Therapien nicht ausreichend wirksam sind. DieTherapie von Schmerzen steht bei derAnwendungvonCannabisarzneimitteln im Vordergrund. Dies war schon bei den Patientinnen und Patienten der Fall, die bis Anfang 2017 im Besitz einerAusnahmeerlaubnis zumErwerbvon Cannabis zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie waren. Nach der Gesetzesänderung werden mehr als zwei Drittel der Verschreibungen von Cannabisarzneimitteln fürSchmerzpatienten ausgestellt. Was fehlt, sind randomisierte und kontrollierte Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit. Den aktuellen Stand und die Schwierigkeiten bei der Interpretation von Studienergebnissen stellt W. Häuser in seinem Artikel dar. Mit der bis zum 31.03.2022 laufenden Begleiterhebung sammelt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun erstmals systema-

Volume 62
Pages 799-800
DOI 10.1007/s00103-019-02980-4
Language English
Journal Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz

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