Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz | 2019

Das Unbehagen mit der Leichenschau und der Todesursachenstatistik – A never-ending story?

 
 
 

Abstract


„Meine Herren! Ich habe . . . Grund, die Frage der Sterblichkeit vor Ihr Forum zu bringen.Das istnämlich–ichdarfeswohl sagen,ohneeineneinzelnenzubeleidigen – die große Nachlässigkeit, mit welcher auf den Totenscheinen die Krankheiten von den Ärzten angegeben werden . . . “ Dieses Zitat aus dem Jahr 1863 stammt vom Pathologen Rudolf Virchow. Dem kritischen Leser stellt sich die Frage, ob sich denn in den letzten 150 Jahren an dieser Situation etwas zum Positiven hin verändert hat: Nicht nur eine unzureichendeQualität der Leichenschau ist seit vielen Jahren ein Thema in Fachpublikationen, auch die Qualität ausgefüllter Todesbescheinigungen ist weiterhin als ungenügend zu bewerten. Warumsinddie sorgfältigeDurchführung der Leichenschau und das korrekte Ausfüllen der Todesbescheinigung so wichtig? Diese ärztlichen Aufgaben haben weitreichende Auswirkungen. Aus den Todesbescheinigungen werden Daten erhoben, die unter anderem die Grundlage für die amtliche Todesursachenstatistik, die Krebsregister und sich daraus ergebende gesundheitspolitische Entscheidungen bilden. Auch polizeiliche Ermittlungen bei ungeklärter oder nichtnatürlicher Todesart nehmen ihren Ausgang von den Eintragungen auf der Todesbescheinigung. Die Daten sind zudem Grundlagen von epidemiologischen Forschungsvorhaben auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Sie gehen beispielsweise auch in die von der Weltgesundheitsorganisation initiierte Global-Burden-of-Disease-Studie ein. Grundsätzlich existieren mehrere Maßnahmen zur Überprüfung und Verbesserung der Qualität von äußerer Leichenschau und Todesbescheinigung. Neben einer Qualifizierung der leichenschauenden Ärztinnen und Ärzte spielt die Durchführung von Obduktionen eine große Rolle: Die sog. Görlitzer Studie ergab bei der Hälfte der untersuchten Fälle eine fehlende Übereinstimmung von innerer und äußerer Leichenschau. Als weitere Maßnahme sollen die Gesundheitsämter als letzte fachliche Kontrollinstanz die Todesbescheinigungen in ihrem Zuständigkeitsbereich systematisch sichten und durch gezieltes Nachfragen bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten den Informationsgehalt und die Validität eines Großteils der Todesbescheinigungen deutlich verbessern und damit zur Präzisierung der Todesursachenstatistik beitragen. Zu konstatieren ist jedoch, dass diese qualitätssichernden Maßnahmen derzeit weder im erforderlichen Umfang noch in allen Aspekten flächendeckend umgesetzt werden. Es besteht für approbierte Ärzte keine Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen und Obduktionen finden im Bundesdurchschnitt inzwischen bei weniger als 5% aller Verstorbenen statt. Aktuelle Zahlen der Jahre 2013 und 2014 aus dem Stadtgebiet München zeigen, dass von rund 26.000 in diesem Zeitraum Verstorbenen 2500 (9,5%) obduziert wurden. Dieser über dem bundesweiten Durchschnitt liegende Wert ist der inMünchen traditionell hohen Quote rechtsmedizinischer Obduktionen geschuldet, die 84,4% aller durchgeführten Obduktionenbetrug.Extremniedrigwar der Anteil an pathologischen Obduktionen mit 15,6%. Die bestehende Problematik bei der Leichenschau ist der Politik durchaus bewusst, über eine bessere Vergütung der ärztlichenLeichenschausollderenQualität verbessert werden. Daher verabschiedete der Bundesrat am 20.09.2019 die fünfteVerordnungzurÄnderungderGebührenordnung für Ärzte, die eine Anpassung der in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgelegten Honorare für die Durchführung der ärztlichen Leichenschau vornimmt. Die Verbesserung der Vergütung allein wird jedoch die bestehende Problematik nicht lösen können. Die Qualitätsprobleme setzen sich im Bereich der statistischen Erfassung und Codierung der Todesursachen fort. Es gibt nach wie vor keine bundeseinheitlicheTodesbescheinigung, schongarkeine einheitliche europäische Todesbescheinigung. Stattdessen wirkt sich hier die Länderzuständigkeit fürdasBestattungsrecht heterogenitätserzeugend aus. Auch dieKomplexitätdergefordertenAngaben auf den Todesbescheinigungen stellt die leichenschauenden Ärztinnen und Ärzte regelmäßig vor Probleme, u. a. weil

Volume 62
Pages 1413 - 1414
DOI 10.1007/s00103-019-03053-2
Language English
Journal Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz

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