Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie | 2019

Die „Revidierten Dortmunder Richtwerte“

 

Abstract


ZusammenfassungHintergrundFür eine ergonomische Arbeitsgestaltung sind Maße zur körperlichen Leistungsfähigkeit des Menschen erforderlich. Zur Vermeidung einer biomechanischen Überlastung der Lendenwirbelsäule werden Kriterien zur Unterscheidung von Belastung und Überlastung benötigt. Im Hinblick auf die Bewertung von manuellen Lastenhandhabungen und ähnlichen körperlichen Belastungen in Bezug auf eine potenzielle Überlastung wird in einem etablierten biomechanischen Ansatz die Druckkomponente der über Bandscheiben oder Wirbelkörper übertragenen Kräfte mit der Kompressionsfestigkeit von Lendenwirbelsäulensegmenten verglichen.MethodikDa die mechanische Festigkeit nicht direkt am Lebenden quantifiziert werden kann, werden Kräfte auf isolierte Wirbelsäulensegmente bis zu deren Schädigung aufgebracht, was als Maß für die maximale Belastbarkeit oder Toleranzgrenze bezüglich Kompressionsbelastung angesehen wird. Entsprechende in der Literatur angegebene Messungen an Autopsiematerial wurden gesammelt und auf verschiedene Bedingungen hin geprüft: Ein Segment besteht mindestens aus einem kompletten Wirbelkörper oder einer Bandscheibe einschließlich der angrenzenden Endplatten; der Schaden wird eindeutig der Lendenwirbelsäule zugeordnet; die Aufprägung der Druckkraft ist quasistatisch; die Ergebnisse repräsentieren einzelne Messwerte usw.ErgebnisseDerzeit wurden 66 neu gefundene, anscheinend geeignete Studien auf Basis einer systematischen Literaturrecherche gesammelt, von denen 11 für die nachfolgende Analyse berücksichtigt wurden. Annähernd 4000 Werte wurden zusammengetragen, wovon 1192 für die Analyse verblieben. Die Kompressionsfestigkeit der menschlichen Lendenwirbelsäule variiert zwischen 0,6 und 15,6\u202fkN, Mittelwert und Standardabweichung betragen 4,84\u202f±\u20092,50\u202fkN. Die Verteilungen für Spenderpersonen mit angegebenem Geschlecht und Alter ab 20\xa0Jahren sind durch 6,09\u202f±\u20092,69\u202fkN für männliche Erwachsene (n\u202f=\u2009305) und 3,95\u202f±\u20091,79\u202fkN für weibliche Erwachsene (n\u202f=\u2009205) gekennzeichnet. Bei Annahme eines linearen Regressionsmodells für Spender ab 20\xa0Jahren nimmt die Festigkeit mit zunehmendem Alter deutlich ab: 10,43\u202fkN minus 0,923\u202fkN je Jahrzehnt bei Männern und 7,65\u202fkN minus 0,685\u202fkN pro Altersdekade bei Frauen. Auf Basis dieser geschlechtsspezifischen altersabhängigen Zusammenhänge wurden die „Revidierten Dortmunder Richtwerte“ abgeleitet, die einen Bereich zwischen 5,4\u202fkN für Männer im Alter von 20\xa0Jahren und 2,2\u202fkN bei Männern ab 60\xa0Jahren umfassen. Die entsprechenden empfohlenen Grenzen für Frauen betragen 4,1 bzw. 1,8\u202fkN. Eine spezifische Sicherheitsreserve wurde für junge Erwachsene bis 25\xa0Jahre eingeführt.DiskussionAufgrund der kompressionsbezogenen und rein biomechanischen Anlage dieses Ansatzes bleiben andere Einflüsse wie Scherung oder Torsion sowie psychologische oder psychosoziale Risikofaktoren trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung für die Entstehung von Beschwerden, Störungen und Erkrankungen im unteren Rückenbereich unberücksichtigt.AbstractBackgroundMeasures of human physical capacity are required in ergonomic work design. To avoid biomechanical low-back overload, criteria are needed to differentiate load and overload. With respect to the evaluation of manual materials handling and similar physical exposures regarding potential overload, the compression component of the forces transferred via lumbar discs or vertebrae are compared with the ultimate compressive strength of lumbar-spine segments in a\xa0common biomechanical approach.MethodologyAs mechanical load-bearing capacity cannot be quantified directly in vivo, forces are applied to dissected spinal elements up to failure, which is interpreted as a\xa0measure of ultimate strength or tolerance to compression. Corresponding autopsy-material measurements were collected from the literature and examined with respect to several conditions: at the very minimum a\xa0specimen consists of a\xa0complete vertebra or a\xa0disc including the adjacent endplates; failure is definitely identified as lumbar; compressive-force application is quasi-static; results are given as single values etc.ResultsCurrently, 66 newly discovered apparently suitable studies were collected by a\xa0systematic literature search and 11 were added for subsequent analysis. Nearly 4000 values were compiled and 1192 remained for analysis. Human lumbar ultimate compressive strength varies between 0.6 and 15.6\u202fkN, mean and standard deviation are 4.84\u202f±\u20092.50\u202fkN. For data originating from donors of specified gender and aged 20\xa0years or more, the distributions are characterized by 6.09\u202f±\u20092.69\u202fkN for male adults (n\u202f=\u2009305) and 3.95\u202f±\u20091.79\u202fkN for female adults (n\u202f=\u2009205). According to a\xa0linear regression model for donors aged 20\xa0years or more, strength significantly decreases with age: 10.43\u202fkN minus 0.923\u202fkN per 10\xa0years of age for males and 7.65\u202fkN minus 0.685\u202fkN per 10\xa0years for females. Based on these gendered age relationships, „The Revised Dortmund Recommendations“ were derived ranging between 5.4\u202fkN for males aged 20\xa0years and 2.2\u202fkN for males aged 60\xa0years or more. The corresponding recommended limits for females are 4.1 and 1.8\u202fkN, respectively. A\xa0specific safety margin was implemented for young adults up to 25\xa0years of age.DiscussionDue to the compression-related and biomechanical nature of this approach, other influences such as shear or torsion as well as psychological or psychosocial risk factors remain unconsidered despite their undoubted importance for initiating complaints, disorders and diseases in the low-back region.

Volume None
Pages 1-19
DOI 10.1007/s40664-019-0356-3
Language English
Journal Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie

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