Nervenheilkunde | 2021

Wann machen digitale Spiele krank?

 
 

Abstract


Computer-, Video- und Mobilespiele (digitale Spiele) sind ein weit verbreitetes Massenmedium, das in allen Altersklassen und sozialen Schichten vertreten ist. Damit im Zusammenhang stehende Krankheitsbilder sind im Abschnitt fur Forschungsdiagnosen des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) als Internet Gaming Disorder und den Vorabversionen der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-11) als Gaming Disorder definiert. In der Literatur kontrovers diskutiert wird neben der Notwendigkeit einer moglichen Uberpathologisierung von Alltagsverhalten die nosologische Einordnung als Suchterkrankung versus Impulskontrollstorung. Hinweise zur Einordnung als Suchtverhalten geben zum einen Validierungsstudien der Diagnosekriterien, in welchen mit Toleranzentwicklung, Kontrollverlust und Vernachlassigung anderer Aktivitaten allgemeine Suchtkriterien zur Voraussage einer Beeintrachtigung als geeignet eingeschatzt werden. Zum anderen zeigen neurobiologische und bildgebende Befunde eine deutliche Ubereinstimmung der Veranderungen bei Konsumenten digitaler Spiele mit denen, wie sie auch bei stoffgebundenen Suchterkrankungen beobachtet wurden. Hilfreich bei einer Risikoeinschatzung fur die Entwicklung eines psychiatrisch relevanten Syndroms kann die Kenntnis von Spielmechaniken und Bezahlmodellen digitaler Spiele sein, welche nach lerntheoretischer Konzeption zur Entstehung beitragen konnen: Gestaffelter Fortschritt im Spiel (Progressionssysteme) mit an saliente Reize gekoppelte Belohnungen zur Charakteraufwertung, der Spieleinstieg ohne Bezahlung (free-to-play), Erwerb von Spielfortschritt und Individualisierungsoptionen (In-Game-Items) durch Kleinstbetrage (Mikrotransaktionen) und an Zufall gekoppelte Belohnungen mit der Moglichkeit, digitale Munzwurfe zu erwerben (Lootboxen) konnen die Entwicklung von Suchtverhalten fordern.

Volume 40
Pages 27-34
DOI 10.1055/A-1300-7787
Language English
Journal Nervenheilkunde

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