Nervenheilkunde | 2019

Natur – eine Dosis-Findungsstudie

 

Abstract


Dass Natur positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat, wird nicht nur von Millionen von Menschen durch das eigene Erleben immer wieder bestätigt, sondern ist mittlerweile auch durch entsprechende wissenschaftliche Studien gut belegt [2–4,12, 13]. Hierzu wird in der Regel ein Maß für die Qualität der Wohnumgebung im Hinblick auf Grünflächen, Parks oder Bäume verwendet, entweder der Prozentsatz solcher Grünflächen (im Englischen spricht man von „green space“) am gesamten Wohngebiet bzw. am gesamten Stadtgebiet (wenn es um die Bedeutung von Natur im urbanen Bereich geht) [5] oder die Entfernung der Wohnung zu solchen Flächen, also nicht deren Größe, sondern deren Erreichbarkeit [8]. Fragt man nach den gesundheitlichen Auswirkungen von Natur, so liegt es jedoch nahe, die in der Natur verbrachte Zeit direkt zu messen, um die angemessene „Dosis“ von Natur zu ermitteln [10, 11]. Schließlich fahren viele Menschen, die in der Stadt leben, ins Grüne. Sie machen sich also aktiv auf in die Natur, vor der sie möglicherweise relativ weit entfernt leben und wohnen. Man kann zwar davon ausgehen, dass Menschen, die im Grünen oder in dessen Nähe wohnen, auch mehr Zeit darin verbringen; um jedoch die Auswirkungen von Natur direkt zu messen, ist die Erfassung der in ihr während der vergangenen 7 Tage verbrachten Zeit letztlich eine unverzichtbare unabhängige Variable. Die Methodik ist im Grunde die gleiche wie die bei der Erforschung der Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die Gesundheit des Menschen [1]. Auch hierbei wird die täglich bzw. wöchentlich mit körperlicher Bewegung verbrachte Zeit mit der subjektiv berichteten Gesundheit bzw. dem Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Man fragt nicht „wie weit leben sie von einem Sportplatz entfernt?“, sondern „wie viele Minuten verbringen sie jede Woche mit Joggen?“ Britische Autoren berichteten im Juni 2019 die Ergebnisse einer großen repräsentativen Studie zur in der Natur verbrachten Zeit und der Gesundheit bzw. dem Wohlbefinden von 19 806 erwachsenen Engländern (gemessen in den Jahren 2014–2016). Die Naturexposition wurde in Minuten pro Woche erfasst und wie folgt kategorisiert: 0 min (keine), 1–59 min, 60–119 min, 120–179 min, 180–239 min, 240–299 min sowie > 300 min. Die Gesundheit und das Wohlbefinden der Teilnehmer wurden jeweils dichotom als „gut“ bzw. „schlecht“ erfasst. Zudem wurden die folgenden zusätzlichen Variablen erfasst: Grad der Verstädterung, Begrünung der Wohn umgebung, Grad der Qualität der Umgebung1, Feinstaubbelastung, Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status, Grad der Behinderung, körperliche Aktivität, Arbeitslosigkeit, ethnische Zugehörigkeit, Anzahl der Kinder im Haushalt sowie Hundebesitz.2 Wie die Ergebnisse der Studie zeigten, war eine Aufenthaltsdauer von wöchentlich 2 oder mehr Stunden in der Natur mit einer signifikanten Verbesserung der Gesundheit und (in etwas geringerer Ausprägung) des Wohlbefindens verbunden. In den ▶Abb. 1 und 2 sind für die in Stunden klassifizierten wöchentlichen Aufenthaltsdauern, jeweils im Vergleich zu keinem Aufenthalt in der Natur ermittelten Wahrscheinlichkeiten besserer Gesundheit und besseren Wohlbefindens (Mittelwerte und 95 %-Vertrauensinterval) zu sehen. Die abgebildeten Daten entstammen einer modellierten Analyse, die auch die erwähnten Kontrollvariablen mit einbezog. Bei einfacher Analyse wurde der Effekt der Natur auf Gesundheit und Wohlbefinden schon ab einer Stunde pro Woche signifikant. Nahm man jedoch die weiteren (zum großen Teil gut bekannten) Einflussfaktoren hinzu, hatte der Aufenthalt in der Natur erst ab 2 Stunden wöchentlich einen signifikanten Effekt. Interessanterweise nahm dieser Effekt mit einer weiteren Steigerung der Zeit in der Natur nicht zu, sondern blieb bis 5 Stunden wöchentlich etwa konstant, um bei noch mehr Stunden wieder etwas abzunehmen. Dieses Ergebnis steht in bemerkenswertem Kontrast zur Tatsache, dass 58,9 % der Befragten (n = 11 668) angaben, in den letzten 7 Tagen gar nicht in der Natur gewesen zu sein. Betrachtet man den Effekt von 2–3 Stunden Zeit pro Woche in der Natur (verglichen mit keiner Zeit in der Natur) im Vergleich zum Effekt anderer

Volume 38
Pages 615-617
DOI 10.1055/a-0928-3204
Language English
Journal Nervenheilkunde

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