Nervenheilkunde | 2019

Mentale Stärke – eine gute Idee!

 

Abstract


Es kommt nicht oft vor, dass im Fachblatt Nature eine Studie aus der Pädagogik als Research Article (also im dort größten Format und nicht einfach nur als kürzerer Letter) publiziert wird. Daher ist es umso bemerkenswerter, wenn dies geschieht, zumal 25 Autoren aus 15 Universitäten über einen ganz einfachen Sachverhalt scheiben, der schon lange bekannt ist: Die eigene Einstellung zum Thema Begabung und Anstrengung hat eine Auswirkung auf das Lernverhalten von Schülern: Wer glaubt „das ist alles Begabung – da kann man eh nichts machen“, der macht auch nichts. Und wer glaubt „es hängt vom Training ab, wie gut ich werde“, der trainiert. In den meisten Gesellschaften Ostasiens beispielsweise sind die Schüler davon überzeugt, dass derjenige, der viel lernt, gut in Mathematik sein wird [14]. In Deutschland hingegen glauben die Schüler, dass man für Mathematik begabt sein muss und dass Lernen daher nichts bringt. Entsprechend sind die Leistungen der Schüler im Fach Mathematik nach internationalen Vergleichsstudien in Ostasien wesentlich besser als hierzulande. Wie groß ist der Effekt der inneren Einstellung am Schulerfolg? Und, wichtiger noch, kann man die innere Einstellung und damit den Schulerfolg ändern? Ein in den USA durchgeführtes Experiment mit über 12 000 Schülern im Alter von 14 bis 15 Jahren aus einem national repräsentativen Sample von Schulen (high schools) ergab hierzu bemerkenswerte Antworten: Der Effekt der inneren Einstellung auf den Schulerfolg ist vergleichsweise groß und man kann die innere Einstellung von Schülern durch eine Maßnahme ändern, die fast nichts kostet und nur etwa 50 Minuten dauert. Aufbauend auf einer früheren ähnlichen Studie [16] hatten Schüler am Anfang der 9. Klasse Gelegenheit, sich am Computer eine Präsentation anzusehen (selbstgesteuert), in der ihnen erklärt wird, dass das Gehirn ganz ähnlich wie ein Muskel funktioniert. Es wächst mit seiner Benutzung, wie Erkenntnisse aus der Gehirnforschung zum Thema Neuroplastizität zeigen. Seit einigen Jahren wird diese Denkweise bzw. Haltung oder innere Einstellung als „Growth Mindset“ bezeichnet, dessen Auswirkungen auf die Motivation und den Lernerfolg untersucht wurden. Dass die innere Einstellung des Lernenden einen großen Unterschied machen kann, war schon vor 10 Jahren in der Nervenheilkunde Thema [13]. Und dass die Neurowissenschaften die Grundlage von Lernprozessen heute besser verstanden haben als man dies noch vor wenigen Jahrzehnten für möglich gehalten hätte, bestimmt nicht nur unser Denken über Psychiatrie und Schule wesentlich [11, 12], sondern ist auch das Geschäftsmodell der wertvollsten Firmen der Welt: Amazon, Microsoft. Alphabet (Google), Apple, Facebook, Tencent, Alibab1 sowie – etwas abgeschlagen – Intel und IBM.2 Wir haben also allen Grund, diese Gedanken ernst zu nehmen. Dass ein solches Wissen um Neuroplastizität im Allgemeinen, und die Veränderbarkeit der geistigen Leistungsfähigkeit des Menschen durch Lernen im Besonderen, direkt das Lernen beeinflussen kann, wird erst seit einem guten Jahrzehnt systematisch erforscht [4, 5, 15, 18, 19]. Man kontrastiert hierzu oft ein „Fixed Mindset“, das (vermeintlich angeborene) Begabung oder Intelligenz für bedeutsam beim Lernen hält, mit einem „Growth Mindset“, das die Möglichkeiten zur Veränderung in den Vordergrund stellt. Wenn Schüler und Studenten davon überzeugt sind, dass man an Herausforderungen wachsen kann, weil das Gehirn sich ändern kann und dies auch permanent tut – es lernt eben –, dann sind sie eher dazu in der Lage, diese Herausforderungen auch tatsächlich zu meistern. Sie weisen beim Lernen eine höhere Motivation und eine größere Frustrationstoleranz auf, was man auch als höhere Resilienz zusammenfasst – so das Argument von Wissenschaftlern wie David Yaeger von der University of Texas in Austin und von Carol Dweck von der Stanford University in Kalifornien [15]: „Während sie unser Bildungssystem durchlaufen, haben alle Schüler irgendwann Probleme im sozialen oder akademischen Bereich. Daher gehört es zu den zentralen Aufgaben von Eltern und Erziehern, sie darauf vorzubereiten, sodass sie auf diese unvermeidlichen Herausforderungen standhaft reagieren können. Obwohl Eltern und Erzieher hierbei intuitive Strategien verfolgen, sind viele dieser Strategien möglicherweise ungeeignet, wie beispielsweise die Strategie, den Schülern zu sagen, dass sie schlau seien, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken, oder die Strategie, aggressive Schüler als Bösewichte zu verdammen. [...] Wir haben herausgefun-

Volume 38
Pages 882-886
DOI 10.1055/a-0952-7310
Language English
Journal Nervenheilkunde

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