Verhaltenstherapie | 2019

Mitteilungen der Verbände / Information by Behavior Therapy Associations

 

Abstract


In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit werden derzeit vom Bundesgesundheitsministerium Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. Dass Geschwindigkeit nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit Qualität, zeigt sich wieder einmal am Entwurf für das sogenannte „Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG)“, der in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Zahlreiche Akteure im Gesundheitswesen sollen mit diesem Gesetz, das bereits am 1. Januar 2020 in Kraft treten soll, dazu verpflichtet werden, an der Digitalisierung auch in diesem Bereich mitzuwirken. Unter anderem sollen gesetzliche Krankenkassen dann die Kosten für Gesundheits-Apps auf ärztliche Verordnung hin tragen. Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) und ihr Berufsverband Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) sehen durchaus Chancen in der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Der Maßstab muss dabei aber einzig und allein ein zusätzlicher Nutzen für Patient*innen sein. Dies sieht die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ebenso: „Der Hauptzweck der Gesundheitsversorgung ist das Wohl der Patienten und nicht Wirtschaftsförderung mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung“, heißt es in einer Stellungnahme der BPtK. Und genau an diesem Punkt gibt es erhebliche Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf, der sich auch DGVT und DGVT-BV in zahlreichen Punkten anschließen. So sollen neu entwickelte Apps bereits nach einer formalen Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von Krankenkassen finanziert werden. Einen Nachweis über die Verbesserung der Versorgung durch eine solche App muss der Anbieter erst danach in einer einjährigen Erprobungsphase erbringen. Zudem soll es Krankenkassen erlaubt werden, ihren Versicherten bestimmte Apps zu empfehlen – auch solche, die sie selbst entwickelt haben. Bislang ist die Evidenz solcher Gesundheits-Apps in den wenigsten Fällen belegt. „Die Regelung lädt Hersteller dazu ein, einen wesentlichen Teil der Erprobungskosten für Ihre Produkte auf die Versichertengemeinschaft abzuwälzen“, kommentiert die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege diese Vorgehensweise. Mindestens ebenso kritisch sehen DGVT und DGVTBV, dass im Gesetzentwurf nicht geregelt ist, wem digital erhobene Daten gehören. Einen „Orwellschen Dammbruch“ nennt der Deutsche Gewerkschaftsbund diesem Umstand „mit Blick auf die Bedeutung informationeller Selbstbestimmung und den Anspruch von Versicherten, über Verwendung und Nichtverwendung ihrer Daten im Rahmen der Gesundheitsversorgung selbst entscheiden zu können“. Mehrfach haben DGVT und DGVT-BV in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass persönliche Daten gerade in der psychotherapeutischen Behandlung besonders schutzwürdig sind und es der alleinigen Entscheidung der Patient*innen obliegen muss, welche Daten elektronisch gespeichert werden und wer darauf Zugriff erhält. Dass dieser Punkt bislang im Hause Spahn völlig unterbelichtet ist, das belegt auch die kurzfristige Kehrtwende bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Die Bestimmungen hierzu wurden wenige Tage vor der Entscheidung im Bundeskabinett aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Sie sollen nun in einem gesonderten Gesetz geregelt werden – wohl nicht zuletzt aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken des Justizministeriums. Die DGVT hatte hierzu in einem Schreiben an Gesundheitsminister Spahn ebenfalls um Aufklärung gebeten. Weitere Aspekte, die über die Qualität digitaler Angebote mitentscheiden, sind offenbar dem hohen Tempo Verhaltenstherapie 2019;29:223–230

Volume 29
Pages 223 - 230
DOI 10.1159/000502362
Language English
Journal Verhaltenstherapie

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