Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 2019

Cultural Studies als Konjunktur- und Konstellationsanalyse. Zur Einleitung

 

Abstract


lismus bzw. Rechtsradikalismus eher politisch-ökonomisch oder eher ›kulturell‹ zu erklären sei, prägt aktuell weite Teile der wissenschaftlichen Debatte über die Entwicklungen und Umbrüche unserer Zeit. In anderer Weise als in den Debatten über den ›Kulturalismus‹ der 1990er-Jahre (vgl. Kaschuba 1995) steht damit wieder die Bedeutung und der Status des Kulturellen in großen politischen Konflikten in der Diskussion. Auch heute geht es um die Reichweite zentraler Begriffe und Denkfiguren der Kulturwissenschaften – und um die politischen Ansprüche und Verwicklungen von letzteren. In der Zeitschrift für Kulturwissenschaften lotete zuletzt u.a. Doris Bachmann-Medick (2017) mit Thesen zu einem »socio\xadpolitical turn« die Formen und Effekte neuer Politisierungen innerhalb unserer Disziplinen aus, der aktuelle Debattenteil stellt Fragen, die damit verwandt sind, hat aber einen anderen Fokus und widmet sich einer aktuellen Position der Cultural Studies. Den Cultural Studies als einer spezifischeren kulturwissenschaftlichen Schule kommt in Diskussionen um die Politik des Kulturellen, sowohl in Fachkreisen als auch außerhalb derselben, eine doppelte Rolle zu: Für ihre Befürworter*innen stehen sie für eine Traditionslinie explizit politisch auftretender, theoretisch undogmatischer, (pop)kulturell (im Weber’schen Sinn) ›musikalischer‹, kritisch-linker Kulturwissenschaftspraxis, auch nach dem kurzen Hype, den es in den 1990er-Jahren im deutschsprachigen Raum um sie gab. In einem anderen, wohl nicht weniger weit verbreiteten Verständnis sind sie dagegen eine Chiffre für all das, was nach Auffassung der jeweiligen Kritiker*innen in den Kulturwissenschaften der letzten Jahrzehnte (angeblich) falsch lief: Wahlweise die vielgeschmähte Identitätspolitik, das Aufgeben des Bildungskanons und der klassischen Geisteswissenschaften, beziehungsweise einer strengeren z.B. philologischen oder ethnografischen Methodik, oder auch die Verwechslung von Fragen der Alltagsästhetik mit solchen ernsthaften politischen Widerstands. (Von der rechtradikalen Obsession mit den Gefahren des ›Kulturmarxismus‹ gar nicht erst zu reden). Solche Frontstellungen prägen die internationale, aber auch die deutsche Rezeption der Cultural Studies, akademisch wie feuilletonistisch. Jeremy Gilbert, Popkulturforscher, Kulturtheoretiker und Autor vieler zeitdiagnostischer Analysen mit politisch-interventionistischer Ausrichtung, macht im folgenden Debattenbeitrag eine Auffassung dieser kulturwissenschaftlichen Schule stark, die sich nicht an diesen Schlagwörtern abarbeitet, sondern einem anderen Orientierungspunkt folgt: Cultural Studies als conjunctural analysis, als konjunkturale Analyse oder Konjunkturanalyse. Gilbert argumentiert, dass Cultural Studies wesentliche Beiträge zu einem besseren Verständnis von gesellschaftlichen Situationen wie der gegenwärtigen leisten können, weil sie eine konjunkturoder konstellationsanalytische Arbeitsund Denkweise entwickelt haben, die ein transdisziplinäres Zusammendenken von politischen, ökonomischen und kulturellen Entwicklungen und Kräfteverhältnissen

Volume 13
Pages 101 - 104
DOI 10.14361/zfk-2019-130210
Language English
Journal Zeitschrift für Kulturwissenschaften

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