Fabula | 2019

Ines Köhler-Zülch (1941–2019)

 

Abstract


Am 24. April 2019 starb Ines Köhler-Zülch in ihrem Haus in Göttingen, nach schwerer Krankheit, gegen die sie anderthalb Jahre lang mit großer Tapferkeit gekämpft hatte. Bis zum Ausbruch des Übels schien sie unverwüstlich, kaum ein halbes Jahr zuvor war sie noch, im Februar 2017, auf abenteuerlicher Langlauftour allein in den Harzer Bergen unterwegs gewesen. Ines, die Frau mit dem Pferdeschwanz, – erinnernd an Picassos Sylvette – und mit dem beschwingten Gang, war die Flinkheit in Person, immer in Eile, dabei nie aufgeregt, ein Wunder an Energie, ein Organisationstalent, voll freundlicher Aufgeschlossenheit, lebhaft und gesprächig, dabei aber stets distanziert, abwägend und reflektiert, eingefleischte Raucherin und Kaffeekonsumentin, Frühaufsteherin und Nichtautofahrerin, in ihrer wissenschaftlichen Arbeit äußerst präzise, gewissenhaft, systematisch, kritisch. „Von ihr habe ich gelernt, dass man die Dinge aus allen Winkeln betrachten muss, dass alles seine zwei Seiten hat”, sagte mir eine ihrer ehemaligen Hilfskräfte in der Arbeitsstelle Enzyklopädie des Märchens. 1974 war Ines Köhler, Slavistin und Südosteuropa-Spezialistin, nach Göttingen gekommen, wo sie bis 2006 in der Redaktion des von Kurt Ranke gegründeten, seit 1980 zur Göttinger Akademie der Wissenschaften gehörigen Langzeitunternehmens Enzyklopädie des Märchens (EM) tätig war; nach dem Eintritt in den Ruhestand fungierte sie als Mitherausgeberin, zeitweise (2008–2010) auch als Arbeitsstellenleiterin. Sie war eine Mittlerin zwischen Ost und West, setzte sich, im Beruf wie im privaten Leben, für ‚ihreʻ Länder, ihre Spezialgebiete ebenso ein wie für die Belange Verfolgter und Benachteiligter, in der Theorie wie in der Praxis. Während des Zweiten Weltkriegs, am 10. Juni 1941, in Magdeburg geboren, hat sie sowohl die junge DDR als auch die im Wirtschaftsaufschwung begriffene Bundesrepublik erlebt, in der sie jedoch – zunächst bedingt durch ‚Republikflucht‘ und dann den unerwarteten Tod des Vaters – die Erfahrung plötzlicher Verarmung machen musste. Dennoch wählte sie im Studium eher marginalisierte Fächer, die nicht unbedingt gesicherte Berufsaussichten versprachen: Nachdem

Volume 60
Pages 372 - 377
DOI 10.1515/fabula-2019-0023
Language English
Journal Fabula

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