Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken | 2019
Fra’ Epifanio Fioravanti, Abenteurer und Agent zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges
Abstract
The case of the Augustinian hermit Epifanio Fioravanti illustrates a peculiar aspect of the history of diplomatic relations in Europe during the modern period. It exemplifies the well-known 17th-century phenomenon that, alongside official diplomats, saw members of the mendicant orders frequently being charged with political missions. It is evident that these mandates could exceed significantly beyond informal negotiations and drawing up reports to potentially include secret operations. Such operatives were used both by secular sovereigns and by important representatives of the Roman Curia. The apostolic nunciatures themselves were involved in relations of this type and were forced to fear for their credibility. Im politischen Leben unserer Zeit löst es keine Überraschung aus, wenn durch ein besonderes Ereignis ans Licht der Öffentlichkeit kommt, dass Einrichtungen der internationalen Diplomatie auch als Schutzräume für feindliche Agententätigkeit gebraucht werden. Entsprechende Nachrichten haben gelegentlich die Ausweisung von Botschaftsangehörigen zur Folge; niemand erwartet aber ernstlich, dass die missbräuchliche Nutzung der durch die diplomatische Immunität gegebenen Möglichkeiten ganz abgestellt werden wird. Es kann darum nicht wirklich überraschen, dass auch schon im 16. und 17. Jahrhundert, als das System der diplomatischen Vertretungen unter den europäischen Staaten sich noch im Stadium der Entwicklung befand, ähnliche Beobachtungen gemacht werden können. Als erwähnenswert mag dabei gelten, dass wie die Gesandtschaften der weltlichen Mächte auch die päpstlichen Nuntiaturen mit ihrem bereits gut ausgebauten Nachrichtenwesen in dieser 282 Rotraud Becker QFIAB 98 (2018) Tradition standen, so dass ihre Archivalien Nachweise für einzelne Fälle liefern können.1 In Wien hatte im März 1635 für Aufsehen gesorgt, dass es dem dort inhaftierten schwedischen Feldmarschall Cratz von Scharffenstein möglich war, aus dem Gefängnis auszubrechen.2 Wir wissen nicht, ob es gelang, die näheren Umstände des Vorfalls am Ort aufzuklären, doch waren, wie wir aus einem Bericht aus Rom erfahren, die Wiener Ereignisse dort offenbar bekannt geworden. Am 24. Januar 1636 schreibt der kaiserliche Gesandte am Hof Papst Urbans VIII., Scipione Gonzaga, Fürst von Bozzolo, an den Hof in Wien, dass in Neapel ein Augustiner-Eremit namens Epifanio Fioravanti verhaftet und eingekerkert worden sei, „che operò la fuga del Kratz.“3 Die Nachricht über die Verhaftung hatte Kardinal Maurizio von Savoyen4 dem Gesandten zukommen lassen und dazu bemerkt, dass ihn im vergangenen Sommer, als er sich im Gebiet von Modena aufhielt, ein Herzog von Sachsen aufsuchte, der von 1 Guido Braun, Erkenntnispotentiale der „Nuntiaturberichte aus Deutschland“ für die internationale historische Forschung, in: QFIAB 98 (2018), S. 26, Anm. 41. 2 Johann Philipp Graf (1630) Cratz (Kratz) von Scharffenstein, ca. 1590–1635, aus stiftsfähiger rheinischer Familie, Mitglied der Domkapitel in Speyer (1601–1627) und Worms (1617–1623), 1620 Oberst eines Reiterregiments in der Armee der Katholischen Liga, danach mehrmals wechselnd zwischen ligistischem und kaiserlichem Dienst, 1631 Generalwachtmeister. 1632 von Kurfürst Maximilian als Nachfolger Tillys vorgesehen, aber wegen Widerstand Wallensteins nicht ernannt, danach Generalfeldzeugmeister (General der Artillerie) und Kommandant der Festung Ingolstadt, 1633 Übertritt in schwedischen Dienst unter Bernhard von Weimar; Johann Friedrich Schannat , Eiflia Illustrata, übersetzt von Georg Bärsch, Aachen-Leipzig 1829, Bd. 2.1, S. 499–501; Karl von Landmann, Art. Craz, in: ADB 4 (Leipzig 1876), S. 573–575; Art. Kratz, in: ADB 17 (Leipzig 1883), S. 56 f.; Johann von Heilmann, Kriegsgeschichte von Bayern, München 1868, Bd. 2, S. 1118; Georg Irmer, Die Verhandlungen Schwedens und seiner Verbündeten mit Wallenstein und dem Kaiser von 1631–1634, Bde. 2 und 3, Stuttgart 1889, 1891 (Publicationen aus den k. Preußischen Staatsarchiven 39 und 46, 1965), ad ind.; Sigmund von Riezler, Geschichte Baierns, Gotha 1903, Bd. 5, S. 440–443; Gaston Zeller, La réunion de Metz à la France (1552–1648), Paris 1926, Bd. 2, ad ind.; Peter Hersche, Die deutschen Domkapitel im 17. und 18. Jahrhundert, 3 Bde., Bern 1984, Bd. 1, S. 166, 189, Bd. 2, S. 168. 3 Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hofund Staatsarchiv (= HHStA), Staatenabt. Rom, Korr. 54, 1. Konv., Fasz. Scipio Gonzaga 1636–1638, fol. 7r–v (lett.). − Scipione Gonzaga, 1596–1670, seit 1605 bzw. 1613 regierender Fürst in dem zum Herzogtum Mantua gehörigen kleinen Fürstentum Bozzolo, 1634–1641 kaiserlicher Gesandter in Rom. Er wird in zeitgenössischen Berichten meist Bozzolo genannt; Rotraud B ecker, Die Neubesetzung der kaiserlichen Gesandtschaft in Rom im Jahr 1634, in: QFIAB 94 (2014), S. 219–251, hier S. 235–248; Corrispondenze diplomatiche veneziane da Napoli. Dispacci, vol. VII: 1632–1638, a cura di Michele Gottardi, Roma 1991, ad ind. 4 Maurizio di Savoia, ca. 1593–1657, Bruder Hz. Vittorio Amedeos, 1607 Kardinal, 1621–1636 KardinalProtektor Frankreichs; Wolfgang Reinhard, Paul V. Borghese (1605–1621), Stuttgart 2009 (Päpste und Papsttum 37), Kuriendatenbank, Personen, s. v. Savoia; Tobias Mörschel, Buona amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621), Mainz 2002 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte 193), S. 237–254; ders., Il cardinale Maurizio di Savoia e la presenza sabauda a Roma all’inizio del XVII secolo, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2 (2001), S. 1–37; Matthias Oberl i , „Magnificentia Principis“. Das Mäzenatentum des Prinzen und Kardinals Maurizio von Savoyen, Weimar 1999, S. 57–177. Fra’ Epifanio Fioravanti 283 QFIAB 98 (2018) ihm 3000 doppie5 erhalten wollte und ihn außerdem bat, den dem Kardinal bisher unbekannten Epifanio Fioravanti als seinen Theologen bei sich aufzunehmen. Maurizio überließ dem Besucher 150 doppie und stellte den Ordensmann zwar nicht als Theologen, aber als seinen elemosiniero ein. In dieser Funktion habe der frate dann wenig Eifer gezeigt und sich stattdessen herumgetrieben – „il frate è per il più andato vagando lontano dal servitio.“ Der Kardinal setze sich nun auch nicht für ihn ein, sondern befürworte, in Ergebenheit gegenüber dem Kaiser, seine Bestrafung. Die Nachricht ist in mehrfacher Hinsicht überraschend. Sie betrifft den ehemals ligistischen und kaiserlichen General Cratz von Scharffenstein, der 1633 auf die schwedische Seite übergetreten und in der Schlacht von Nördlingen in Gefangenschaft geraten war. Über Hintergründe und Auftraggeber der Befreiungsaktion erfahren wir aus Bozzolos Schreiben nichts. Merkwürdig an seiner Nachricht erscheint aber, dass Maurizio von Savoyen, Kardinal-Protektor Frankreichs und seit 1621 an der Kurie Förderer französischer Interessen,6 einen incognito reisenden, offenbar geldbedürftigen „Herzog von Sachsen′′ nicht nur empfing, sondern diesem – in Grenzen – auch Wünsche erfüllte. Auch dass der Kardinal sich zu keinerlei Fürsorge für einen Kleriker verpflichtet fühlte, den er vor kurzem in seine famiglia aufgenommen hatte, und dass er Wert darauf legte, dass man dies in Wien erfuhr, erscheint erklärungsbedürftig. Dass hier weiträumige politische Beziehungen im Spiel waren, zeigt Bozzolos Brief nicht an; wir wissen also auch nicht, ob sie ihm und anderen Zeitgenossen bewusst waren. Die Zusammenhänge sind jedoch erkennbar, wenn man heranzieht, was an biographischen Daten über die beteiligten Personen aus anderen Quellen bekannt ist. Erstaunlich gut ist unser Kenntnisstand bezüglich des in Neapel eingekerkerten Augustiners, der sich jedenfalls im Frühjahr 1635 in Wien aufhielt.7 Er ließ sich dort von Nuntius Baglioni am 18. März einen Empfehlungsbrief an den venezianischen Nuntius Vitelli ausstellen,8 am 26. März fand die genannte Befreiungsaktion 5 Goldmünzen im Wert von 2 Dukaten. 6 Ludwig von Pastor, Geschichte des Papsttums, Freiburg 1929, Bd. 13.1, S. 250; Oberl i (wie Anm. 4), S. 62; Olivier Poncet , Les cardinaux protecteurs des couronnes en cour de Rome dans la première moitié du XVIIe siècle. L’exemple de la France, in: Gianvittorio Signorotto/Maria Anto nietta Visceglia (Hg.), La Corte di Roma tra Cinque e Seicento. „Teatro“ della politica europea, Roma 1998 (Europa delle Corti. Biblioteca del Cinquecento 84), S. 461–480, hier S. 470, 473, 476, 479; Mörschel, Il cardinale (wie Anm. 4), S. 22–24. 7 Ein Ordenshaus für den nicht reformierten Zweig der Augustiner-Eremiten bestand in Wien nicht mehr, nachdem 1630 auf Wunsch des Kaiserpaars die Unbeschuhten Augustiner Kirche und Kloster bei der Hofburg übernommen hatten. Erst 1642 wurde der Grundstein für ein neues Kloster bei St. Rochus an der Landstraße gelegt; Johannes Gavigan, Die Übergabe des Wiener Augustinerklosters an die Barfüßer 1630, in: Viktor Fl ieder (Hg.), Festschrift Franz Loidl, Wien 1970, Bd. 2, S. 132–154, hier S. 148; Felix C zeike, Das große Groner Wien-Lexikon, Wien-München-Zürich 1974, S. 721 f. 8 Baglioni an Vitelli, 1635 März 18, Città del Vaticano, Archivio Segreto Vaticano (= ASV) Fondo Pio 74, fol. 155r (lett., Reg.). – Malatesta Baglioni, 1581–1648, Nuntius am Kaiserhof 1634–1639; Nuntiaturberichte aus Deutschland, 4. Abt.: 17. Jahrhundert, Bd. 7: Nuntiaturen des Malatesta Baglioni, 284 Rotraud Becker QFIAB 98 (2018) für Cratz statt, und er ist schon in Venedig, ehe dort die Nachricht hierüber bekannt wird.9 Nach eigenem Bekunden hatte er sich auch für die Nuntiatur betätigt und den nur über geheime Kanäle zugänglichen Text besorgt, der bei den zu dieser Zeit stattfindenden Friedensgesprächen zwischen kaiserlichen und kurfürstlich-sächsischen Delegierten als Verhandlungsgrundlage diente.10 Aus den Archivalien ergibt sich ferner, dass er sich am 13. Juli 1634 – noch zur Zeit des Nuntius Rocci − in der Wiener Nuntiatur hatte bestätigen lassen, auf Empfehlung eines Regiments-Obersten Arneri als Feldgeistlicher tätig zu sein.11 Über die Herkun