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Alles fließt. Von einem künstlerischen Widerhall des Ökofeminismus im Kontext des Neuen Materialismus

 

Abstract


In einem kapitalistischen und geschlechterhierarchischen Gesellschaftssystem werden unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit von Frauen sowie die Selbstregulierung der Umwelt als quasi natürliche Voraussetzungen angesehen. Ökofeministinnen der 1970er Jahre kämpften für die Anerkennung einer Zuspitzung dieser Dauerverfügbarkeit und gegen das Argument der ‚von Natur aus‘ gegebenen Ressourcen. Ihre Bestrebungen knüpfen an die Debatte des Neuen Materialismus an, der den Dingen in der Welt selbst Handlungsmacht zuspricht und in der Kunst aktuell auf kreative Weise verhandelt wird. Der Beitrag möchte einen Einblick in eine exemplarische Verschränkung zwischen Ökofeminismus, Neuem Materialismus und künstlerischer Praxis bieten. Anhand ausgewählter Beispiele aus dem Kunstbereich soll nicht nur illustriert werden, inwiefern sich zeitgenössische Künstlerinnen am Diskurs des Neuen Materialismus beteiligen. Es soll auch aufgezeigt werden, welches politische Potenzial sich durch die Verzahnung von Theorie und künstlerische Praxis entfalten kann. Alisa Kronberger (M.A.) ist Doktorandin am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg und Promotionsstipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie studierte Medienkulturwissenschaft und Psychologie an der Universität Freiburg und Medien und kulturelle Praxis an der Universität Marburg. Seit 2018 ist sie Lehrbeauftragte am Insitut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Feminismus, Medienkunst und Neuer Materialismus. Alisa Kronberger | Künstlerischer Widerhall des Ökofeminismus im Kontext des Neuen Materialismus ffk Journal | Dokumentation des 31. Filmund Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Nr. 4 (2019) 115 1. Everything Flows Ein unaufhörlicher Strom an Farben ergießt sich entlang einer Wand der Ausstellungsräume. Die scheinbar endlose Anhäufung von Müll bahnt sich kaskadenartig ihren Weg auf einer imaginierten Wasseroberfläche. Doch die behagliche und kontemplative Wirkung der Videoprojektion enthüllt unmittelbar ihre Ernsthaftigkeit. Die italienische Künstlerin Silvia Rigon verweist in ihrer Arbeit Panta Rei (Everything Flows) von 2016 auf eine der größten ökologischen Katastrophen, eine durch Meeresströmungen zusammengehaltene, gigantisch große Müllinsel im Pazifik. Rigons Arbeit war Teil der Ausstellung „Feminist Climate Change: Beyond the Binary“ innerhalb des Ars Electronica Festivals 2017 in Linz. In der Hoffnung, den so lange unbeachteten Ökofeminismus der 1970er Jahre wiederzubeleben, wendeten sich die Künstler*innen der Ausstellung den Fragen eines internationalen Feminismus in Konvergenz mit der globalen Frage des Klimawandels zu. Fragen der Ökologie, der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes sind bereits seit den 1970er Jahren an feministische, ökonomiekritische Analysen gekoppelt und gehen heute – wie es scheint – wieder eine verstärkte Allianz ein.1 Mary Mellor definierte 1997 den Ökofeminismus wie folgt: Ecofeminism is a movement that sees a connection between the exploitation and degradation of the natural world and the subordination and oppression of women. [...] Ecofeminism brings together elements of the feminist and green movements, while at the same time offering a challenge to both. It takes from the green movement a concern about the impact of human activities on the non-human world and from feminism the view of humanity as gendered in ways that subordinate, exploit and oppress women.2 Der Ökofeminismus verweist damit auf strukturelle Zusammenhänge zwischen der Frauenunterdrückung in einer männerdominierten Gesellschaft und der Ausbeutung der Umwelt als deren Folge sich der gegenwärtige Klimawandel zeigt.3 Er macht auf die verheerenden Konsequenzen der Tatsache aufmerksam, dass in einem kapitalistischen und geschlechterhierarchischen Wirtschaftsund Gesellschaftssystem unentgeltlich geleistete Sorgeund Reproduktionsarbeit – Stichwort ‚private Versorgung und Fürsorge‘ – von Frauen sowie die Selbstregulierung der Umwelt gleichermaßen als quasi natürliche Voraussetzungen betrachtet werden.4 Als würde alles unendlich fließen, ignoriert der Industriekapitalismus die Knappheit von Umweltressourcen und die Quasi-Natürlichkeit sozialer Reproduktionsarbeit, so lautet die ökofeministische Kritik. 1 Vgl. Bauhardt 2012. 2 Mellor 1997: 1. 3 Vgl. Winterfeld 2006. 4 Vgl. Mies/Shivas 1995. Alisa Kronberger | Künstlerischer Widerhall des Ökofeminismus im Kontext des Neuen Materialismus ffk Journal | Dokumentation des 31. Filmund Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Nr. 4 (2019) 116 Ausgehend von Silvia Rigons Arbeit intendiert der vorliegende Beitrag zunächst aufzuzeigen, dass eine gewisse Eigenmächtigkeit der Dinge in zeitgenössicher, ökopolitischer Kunst und Theorie angenommen wird. Jene Vorstellung von einer mit agency versehenen Materie dockt wiederum unmittelbar an die gegenwärtig geführte Dabette um den sogenanten Neuen (feministischen) Materialismus an, der in diesem Kontext knapp umrissen wird. Von dort aus soll die Frage aufgeworfen werden, ob nicht ein gewisser Widerhall des Ökofeminismus in den neumaterialistischen Ansätzen auszumachen ist. Die daraus abgeleitete These lautet, dass einige ökofeministische Positionen der 1970er und 1980er Jahre heute im Lichte des Neuen Materialismus wiederkehren. Silvia Rigons Video Panta Rei soll mir dazu dienen, einerseits eine gewisse Remininszenz des Ökofeminismus zu behaupten und andererseits aufzuzeigen, inwiefern die Videoarbeit selbst ihre theoretischen Prämissen aus dem Neuen Materialismus schöpft. Die letzte Beobachtung und damit die künstlerische Beteiligung am Diskurs um den Neuen (feministischen) Materialismus möchte ich daraufhin anhand der Roboter-Performance Roomba Rumba von Katherine Behar verdeutlichen, um abschließend die Frage nach der (potenziellen) politischen Wirksamkeit der künstlerischen Arbeiten aufzuwerfen und zu diskutieren. Silvia Rigons 3D-Animation Panta Rei wird in einem Dauerloop auf eine wandhohe Leinwand in den Ausstellungsräumen der Ars Electronica projiziert. Cartoonhaft erscheinende Plastikbecher, Autoreifen, Flaschen und nicht zu definierende bunte Objekte treiben abwärts auf einer grauen Oberfläche, deren Textur an Wasser erinnert. Die symbolische und metaphorische Bedeutung des Wassers bahnt sich unterschiedliche Zugänge hin zu den Rezipient*innen. So steht das Wasser für Zeit, für Bewegung oder den Übergang zu etwas Neuem und verweist hier zugleich in seiner virtuellen, digitalen Beschaffenheit auf eine fluide Gesellschaft angesichts permanenter Datenströme in einem unermesslichen ‚Ozean‘ des Internets. Von realen Medienberichten inspiriert, positioniert Panta Rei sich als ein „gesellschaftspolitischer Kommentar zu einer medieninduzierten Betäubung“5. Marshall McLuhan beschrieb Medientechnologien bereits in den 1960er Jahren als Erweiterungen des menschlichen Körpers, in dessen Folge der Mensch bestimmte Konsequenzen zu tragen habe: die Amputation bzw. die narkotische Betäubung der Sinne durch Überreizung.6 Wie McLuhan interessieren Silvia Rigon die Effekte massenmedialer Produkte auf den menschlichen Körper, wobei sie einen dezidiert feministischen Blick auf diese Zusammenhänge wirft. Ihre Arbeit reflektiert die betäubende Wirkung von Bildern einer zerstörten Umwelt, die unerbittlich und loopartig in Film, Fernsehen und dem Internet wiederkehren. Dennoch zeigt die Videoanimation weniger passive Gegenstände einer zerstörten Umwelt, so möchte ich im weiteren Verlauf argumentieren, als vielmehr eine zerstörerische Umwelt, deren Objekte eine Eigenmächtigkeit entwickelt zu haben scheinen.7 5 Ars Electronica 2017. 6 Vgl. McLuhan 1995. 7 Vgl. Bennett 2010; Tuin 2015; Coole/Frost 2010. Alisa Kronberger | Künstlerischer Widerhall des Ökofeminismus im Kontext des Neuen Materialismus ffk Journal | Dokumentation des 31. Filmund Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Nr. 4 (2019) 117 Abb 1: Screenshot aus Panta Rei: Everything Flows (2012) 2. Eine neu-materialistische Perspektive Im Kontext des sogenannten New (feminist) Materialism werden konfliktgeladene Diskussionen über Diskurs und Materialität geführt, mit dem Ziel, binär strukturierte Gegensätze wie Subjekt-Objekt, Natur-Kultur zu durchkreuzen. Die Kritik des Neuen Materialismus entzündete sich an der Vormachtstellung der Sprache und der Diskurse in postmodernen Theorien und der damit verbundenen Ausblendung der Bedeutung von Materie.8 Ein entscheidendes Anliegen neumaterialistischer Theoretiker*innen, das sich auch von ökofeministischen Positionen ableiten lässt, ist der Einsatz für Subjektivität und Handlungsfähigkeit (agency) menschlicher wie auch nicht-menschlicher Materie.9 Mithilfe einer neumaterialistischen Perspektive würden laut Christine Bauhardt „ökologische Fragen nach den Austauschprozessen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Natur“10 erneut an Relevanz gewinnen können. Zentrale Verhandlungsgegenstände des Neuen Materialismus sind Körper, Stoffe und Organismen und deren Umwandlungen in Wissensprozesse. Neben Donna Haraway, die als Wegbereiterin jenes heterogenen Diskursfeldes gilt, unterstützen Denker und vor allem Denkerinnen wie Elizabeth Grosz, Stacy Alaimo, Iris van der Tuin und insbesondere Karen Barad die Idee einer Neuausrichtung des Verständnisses von Natur und Materie, die sich gegen eine anthropozentrische Position abendländischen Denkens wendet. 8 Vgl. Barad 2007. 9 Vgl. Löw et. al. 2017. 10 Bauhardt 2017: 106. Alisa Kronberger | Künstlerischer Widerhall des Ökofeminismus im Kontext des Neuen Materialismus ffk Journal | Dokumentation des 31. Filmund Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums Nr. 4 (2019) 118 Eine gewinnbringende Perspektive auf Silvia Rigons künstlerische Arbeit ergibt sich mit Jane Bennetts Vorschlag, Materie als lebendig (vibrant) zu verstehen. Bennett greift in ihrer Monografie Vibrant Matter (2010) auf das Konzept der Assemblage zurück. Mit diesem Begriff gehen Deleuze und Guattari davon aus, dass die Dinge in

Volume None
Pages 114-127
DOI 10.25969/mediarep/3709
Language English
Journal None

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