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Modellierung und Analyse urbaner informeller Siedlungen für infrastrukturelle Planungen

 

Abstract


Weltweit lebt im Jahr 2020 etwa ein Achtel der Bevolkerung in urbaner Armut. Die Siedlungsstrukturen dieser Menschen sind unabhangig von lokalen Regularien entstanden und weisen haufig spezielle morphologische Charakteristika und einen mangelhaften Zugang zu Infrastrukturen auf. Fur die Bewohner dieser als informelle Siedlungen bezeichneten Areale resultieren dadurch starke Benachteilungen. Obwohl in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zur Untersuchung dieser Siedlungsart durchgefuhrt wurde, sind speziell technikwissenschaftliche Perspektiven bisher nicht vorhanden. Eine solche Perspektive wird in der vorliegenden Arbeit eingenommen und unter Ruckgriff auf den erkenntnistheoretischen Ansatz von C. S. Peirce ausgearbeitet. Dabei wird einerseits ein neuartiges, einfaches Modell der Siedlungsentstehung entwickelt und untersucht, ein Vergleich des Modells mit realen Siedlungsverteilungen durchfuhrt, sowie das Vorgehen an sich reflektiert. \n \nUnter Ruckgriff auf Erkenntnisse der Stadtforschung, welche (i) die Heterogenitat von Stadten betont und (ii) die Entwicklung von Stadten mit denen von Organismen vergleicht, wird ein bekanntes kontinuumsmechanisches Modell der diffusionsgetriebenen Instabilitat zur Beschreibung der Morphogenese von Organismen aufgegriffen und auf die Entstehung informeller Siedlungen ubertragen. Das Modell beschreibt die Entstehung informeller Siedlungen aus einer Wechselwirkung zweier sozialer Gruppen, arm und reich, wobei das Verhalten der beiden Gruppen durch zwei Arten der Migration beschrieben wird: (i) der Fernmigration, die den Zuzug der Bevolkerung vom Land in die Stadt beschreibt und Geburten- und Sterberaten enthalt, sowie (ii) der Kurzstreckenmigation, die durch die Mobilitat der jeweiligen Gruppen innerhalb der Stadt beschrieben wird. Eine lineare Stabilitatsanalyse fuhrt zur Aussage, dass informelle Siedlungen sich in einem regelmasigen Muster anordnen, in dem sowohl der Abstand der Siedlungen, als auch die Siedlungsgrose konstant ist. Die typischen Skalen informeller Siedlungen sind dabei dem Modell nach im zwischenmenschlichen Verhalten immanent vorhanden und werden diesem nicht durch die Randbedingungen der betrachteten Stadte aufgepragt. \n \nDiesen theoretischen Uberlegungen werden empirische Daten von Siedlungsverteilungen in acht Stadten des globalen Sudens gegenubergestellt, in denen unter Verwendung von Satellitendaten informelle Siedlungsareale identifiziert werden. Dabei werden die Grosenverteilungen, sowie die raumlichen Anordnungen der informellen Siedlungen untersucht. Die Analyse zeigt, dass sich die Grosen der uber 7000 untersuchten informeller Siedlungen ahneln und 85% aller Siedlungen eine Grundflache zwischen 10-3 und 10-1 km² aufweisen. Daneben wird untersucht, welchen Einfluss die Klassifikation auf das Ergebnis hat und die Robustheit des Ergebnisses durch eine Sensitivitatsanalyse bestatigt. Eine Ahnlichkeit in der raumlichen Anordnung oder eine regelmasige Anordnung der Siedlungen kann allerdings nicht identifiziert werden. Vielmehr ordnen sich die informellen Siedlungen innerhalb einer Stadt in Clustern an. Die ermittelte Skala kann als Eingangsgrose fur die Entwicklung von Konzepten zur infrastrukturellen Versorgung dieser Siedlungen oder als Mindestauflosung epidemiologischer Analysen betrachtet werden. \n \nZuletzt wird sowohl das Modell an sich, als auch seine Voraussetzungen systematisch analysiert und erkenntnistheoretisch eingeordnet. Obwohl einige der vom Modell getatigten Aussagen nicht durch die empirischen Ergebnisse bestatigt werden konnen, liefert das Vorgehen ein Beispiel fur eine ganzheitliche und Betrachtung und Analyse gesellschaftsrelevanter Fragen aus einer technikwissenschaftlichen Perspektive.

Volume None
Pages None
DOI 10.26083/TUPRINTS-00019414
Language English
Journal None

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