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Auf metrischen und differentialgeometrischen Konzepten basierende neue mathematische Algorithmen zur Sensordatenfusion mit Anwendungen in der Faser-Bragg-Gitter-Formsensorik

 

Abstract


Der Bedarf an Sensoren zur zeitkontinuierlichen Erfassung der Form flexibler Strukturen ist in verschiedenen Anwendungsfeldern vorhanden. Besonders in der Medizintechnik findet sich eine Vielzahl an Einsatzmoglichkeiten. Beispielsweise stellen die Vermessung von flexiblen Endoskopen, Biopsienadeln oder Kathetern Anwendungen fur die Formerkennung dar. Um schwer erreichbare Operationsstrukturen zuganglich zu machen, geht ein aktueller Trend in der robotergestutzten Chirurgie hin zu flexiblen, sehr filigranen Robotern. Beispielhaft sind hier Kontinuumsroboter zu nennen. Diese bestehen nicht aus einzelnen Gelenken und starren Verbindungen, sondern bilden eine flexible Struktur, die sich sehr frei im Raum verformen kann. Herkommliche kinematische Modelle konnen bei diesen Robotern nicht angewendet werden, um die Position des Endeffektors zu erfassen und basierend darauf die Ansteuerung des Roboters zu regeln. Auch die Ansteuerung solcher Roboter bedarf demnach einer dynamischen Formerfassung des jeweils aktuellen Deformationszustandes. \n \nFaser-Bragg-Gitter(FBG)-Formsensorik stellt eine vielversprechende Losung zur Formerkennung flexibler Objekte dar. FBG-Formsensoren bestehen aus einem flexiblen Sensortragerkorper in Schlangenform, in den FBG-Glasfasern eingegossen sind. In die FBG-Glasfasern sind an mehreren Stellen Strukturen eingeschrieben, die sogenannten Faser- Bragg-Gitter (FBGs). Die physikalischen Eigenschaften dieser FBGs andern sich bei Dehnung des Gitters, somit kann die Faser als Dehnungsmessstreifen auf optischer Basis eingesetzt werden. \nAn diskreten Stellen des Sensortragerkorpers wird mittels der FBG-Glasfasern die durch \nSensorverformung hervorgerufene Materialdehnung gemessen. Uber Datenfusionsalgorithmen \nkann aus diesen Dehnungsinformationen die Sensorform geschatzt werden. Wird ein Formsensor innerhalb eines flexiblen schlangenformigen Objektes integriert, so wird die Verformung des Objektes und insbesondere die Position und Ausrichtung der Objektspitze uber den Sensor messbar. Die eingesetzten FBG-Glasfasern eignen sich durch den geringen Durchmesser im Mikrometerbereich insbesondere zur Integration in kleine, filigrane Manipulatoren.Weitere Eigenschaften der FBG-Glasfasern, wie elektromagnetische Vertraglichkeit, Sterilisierbarkeit oder Biokompatibilitat sind vorteilhaft fur den Einsatz in der Medizin. Obwohl die Thematik der FBG-Sensorik seit Anfang des 21. Jahrhunderts von Forschungsgruppen weltweit untersucht und vorangebracht wird, hat sich bisher noch kein Konzept auf dem Markt durchsetzen konnen. Dies liegt nach Ermessen der Autorin an einer bisher nicht ausreichenden Sensorgenauigkeit, hervorgerufen durch Schwierigkeiten in der praktischen Realisierung der Sensorik. \n \nIn dieser Arbeit wird eine alternative Herangehensweise in der FBG-Formsensorik erforscht. Das neue Konzept wird als innovative FBG-Formsensorik bezeichnet. Ziel der innovativen FBG-Formsensorik ist die Losung der bisher bestehenden Schwierigkeiten in der praktischen Realisierung der betrachteten Sensorik. \n \nAus den Grundlagen der FBG-Formsensorik und dem aktuellen Stand der Technik wird der Bedarf an einer neuen Losung in der FBG-Formsensorik herausgestellt. Darauf aufbauend wird das Konzept der innovativen FBG-Formsensorik hergeleitet. Bisher wurden FBG-Formsensoren unter der Einhaltung von bestimmten Restriktionen hergestellt. Die Anordnung der in den Tragerkorper integrierten FBGs ist dabei vorgegeben. Dabei mussen \njeweils mindestens drei FBGs auf einem Querschnitt des Sensors liegen, um dreidimensionale Verformungen unter Anwendung der bisher bekannten Datenfusionsalgorithmen berechnen zu konnen. Eine parallele Faserfuhrung ist ublicherweise vorgenommen. Die Einhaltung dieser Restriktionen ist in der Praxis schwer exakt realisierbar. Zudem ist die Deformationsflexibilitat des Sensors wegen der parallelen Faserfuhrung eingeschrankt. In der innovativen FBG-Formsensorik soll nun eine freie FBG-Verteilung ermoglicht werden. Eine helikale Faserfuhrung um die Sensorachse ist dabei eine Realisierungsmoglichkeit. Durch die helikale Wicklung der Fasern ist deren Belastung bei Sensordeformation reduziert. Folglich ist eine hohere Deformationsflexibilitat gegeben. Die uneingeschrankte FBG-Verteilung erleichtert die Sensorherstellung und fuhrt zu einem kontrollierteren Faserverhalten bei Sensordeformation. Bessere Ergebnisse in der Formschatzung sind zu erwarten. Herkommliche FBG-Formsensoren messen die Form der Sensorachse. Aus dieser konnen die Position und Ausrichtung der Sensorspitze berechnet werden. Diese Information ist besonders wichtig; sind die zu vermessenden Objekte an der Objektspitze mit Werkzeugen ausgestattet, so ist insbesondere die Lage dieser Werkzeuge zu beobachten. Die innovative FBG-Formsensorik ermoglicht zusatzlich zu der freien FBG-Verteilung eine Erweiterung \nder erfassbaren Form. Neben der Sensorachse soll auch die Sensoroberflache erfasst werden. Damit ist eine Art taktile Sensorhaut vorhanden. \n \nDie Konzeptumsetzung der innovativen FBG-Formsensorik erfordert neue Algorithmen zur Fusion der Messdaten und zur Rekonstruktion von Deformationen. Die theoretische Erarbeitung dieser Algorithmen ist der Hauptteil dieser Arbeit. Die mathematische Problemformulierung der innovativen FBG-Formsensorik wird als verallgemeinernde Erweiterung der konventionellen Problemformulierung aufgestellt. Die Problemdarstellung unter Verwendung von Tensoren und Mannigfaltigkeiten erlaubt das Anwenden von bekannten Methoden aus der Mathematik. Metrische und differentialgeometrische Konzepte werden zur Formberechnung herangezogen. Insbesondere die Approximation der Sensoroberflache uber einen geometrischen Ansatz von Charles Fefferman et al. (vorgestellt in dem Artikel ’Reconstruction and interpolation of manifolds I: The geometric Whitney problem’ [Fef15]) ermoglicht die Nutzung bekannter topologischer Eigenschaften der zu erfassenden Objekte. Das Resultat des theoretischen Teils dieser Arbeit ist ein Algorithmus in verschiedenen Varianten, der anwendungsabhangig in unterschiedlicher Ausfuhrung eingesetzt werden kann. \n \nDie freie FBG-Verteilung fuhrt auf Grund der helikale Faserfuhrung zu einer Reduktion der Faserbelastung. Dies ist ein Vorteil, der eine hohere Deformationsflexibilitat der Fasern mit sich bringt. Allerdings ist zu evaluieren, ob die bei Dehnung des Tragerkorpers produzierten aterialdehnungen bei der helikalen Faserwicklung noch messbar sind. Ein modellkonformes Verhalten muss in den Messdaten erkennbar sein. Dies wird in einem praktischen Teil der Arbeit experimentell nachgewiesen werden. Bei den Tests geht es hauptsachlich um die grundlegende Analyse der Messdaten und um den Nachweis, dass gemessene Dehnungen zu dem vorher theoretisch hergeleiteten Deformationsverhalten passen. In einem zweiten Testteil wird abschliesend eine erste prototypische Formsensorrealisierung nach dem innovativen Konzept demonstriert. Grundformen, wie C- und S-Formen sind uber den Sensor erfassbar. Die theoretischen und praktischen Ergebnisse dieser Arbeit bilden die Basis der innovativen FBG-Formsensorik. Die erzielten Resultate versprechen eine grundlegende Verbesserung \nder FBG-Formsensorik. Es sind allerdings noch eine Vielzahl an Aspekten in Zukunft zu erarbeiten, \num zu einem Formsensor nach innovativem Konzept mit einer hohen Genauigkeit zu gelangen. Insbesondere auf der praktischen Seite sind neue Forschungsthemen aufgedeckt, die zukunftig zu betrachten sind. Im Ausblick dieser Arbeit sind die zukunftigen, auf dieser Dissertation aufbauenden Themen abschliesend aufgezeigt.

Volume None
Pages None
DOI 10.5445/KSP/1000068886
Language English
Journal None

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