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Wie kann Schule einen Beitrag zur Entwicklung „digitaler Mündigkeit“ bei Kindern und Jugendlichen leisten? Die Herausforderung der Schule als medienpädagogischer Lernort für Datenschutz und Datenspars...

 

Abstract


Die Entwicklung digitaler Mündigkeit von Kindern und Jugendlichen findet im Spannungsfeld divergierender pädagogischer Überzeugungen, dynamischer technischer Entwicklungen, manifester wirtschaftlicher Interessen und defensiver politischer Regulierungen statt. Die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen stellt alle unmittelbar Beteiligten vor große Herausforderungen. In oft nervenaufreibenden Aushandlungsprozessen stecken Eltern und Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche den Grad der Verfügung über digitale Endgeräte und ihre vielfältigen Anwendungen ab. In diesen Aushandlungen geht es auch immer wieder um eine entwicklungspsychologisch angemessene Verabredung sinnvoller Mediennutzung, die einerseits Freiheit ermöglichen soll und andererseits Grenzen setzen muss, ohne das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Privatheit und Datenschutz aus dem Blick zu verlieren. Schule kann die digitale Medienkompetenz von Schülerinnen und Schüler maßgeblich stärken und unter bestimmten Bedingungen einen Beitrag zur „digitalen Mündigkeit“ leisten. Der Medienbildung kommt in Bezug auf das Leben und Lernen in und mit digitalen (Um-)Welten sowie beim Kompetenzaufbau im Bereich Datenschutz und Datensicherheit eine bedeutende Rolle zu. Entwicklung digitaler Mündigkeit bei Kindern und Jugendlichen als Ziel Die Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen haben sich mit der umfassenden Verbreitung von Smartphones und ihren vielfältigen Anwendungen stark verändert. Die JIM-Studie 2019 macht deutlich, dass Jugendliche selbstständig über eine große Bandbreite an digitalen Technologien verfügen können. „Smartphone, Computer/Laptop und WLAN 1. 237 https://doi.org/10.5771/9783748921639-237, am 01.07.2021, 15:44:14 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb sind mit einigen sozial bedingten Einschränkungen in allen Familien vorhanden“ (JIM 2019: 5). Der persönliche Gerätebesitz von Handy oder Smartphone erreicht 98% (JIM 2019: 7). Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Spiel-, Kommunikationsund Lernverhalten von Kindern und Jugendlichen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass die Kinder und Jugendlichen bei allen Aktivitäten, die über digitale Technologien vermittelt werden, Daten und Metadaten produzieren, die von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren gesammelt, gespeichert und ausgewertet werden.1 Der Schutz persönlicher Daten von Kindern und Jugendlichen muss unter diesen Bedingungen wachsender digitaler Selbstständigkeit immer wieder aufs Neue definiert und verteidigt werden. Dabei gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens, was „digitale Mündigkeit“ ist, wie sie schrittweise erworben werden kann und welche Rolle Schule, Elternhaus und die Kinder und Jugendlichen selbst dabei spielen sollen. Denn die Entwicklung digitaler Mündigkeit von Kindern und Jugendlichen findet im Spannungsfeld divergierender pädagogischer Überzeugungen, dynamischer technischer Entwicklungen, manifester wirtschaftlicher Interessen und defensiver politischer Regulierungen statt. Eine enge Definition von „digitaler Mündigkeit“ fokussiert sich hauptsächlich auf die technische Beherrschung digitaler Endgeräte und ihrer Anwendungen durch Individuen. „Mit digitaler Mündigkeit wird die Fähigkeit zur Mitnutzung und -gestaltung digitaler Räume bezeichnet, die eine Vielfalt differenzierter Teilfähigkeiten umfasst, welche technische, soziale und politische Komponenten einschließt („Literacies“). So sind digital mündige Bürger in der Lage, selbstbestimmt digitale Plattformen zu nutzen, unerwünschte Risiken zu vermeiden, einen angemessenen Umgang zu pflegen und ihre Interessen auf konstruktive Weise zu verfolgen.“2 1 vgl. Kurz/Rieger (2011): Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen. Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt a. M., S. 12-49. 2 Vgl. Basisdefinition eines Forschungsverbundprojekts der Universität Leipzig, Universität Frankfurt a.M., TU München aus dem Jahr 2016 für ein Forschungsprojekt des ISPRAT e.V. durchgeführt, das eine Analyse der digitalen Mündigkeit der deutschen Bevölkerung vorgenommen hat, in: https://www.cmgt.uni-leipzig.de/pr ojekte/digitale_muendigkeit.html (Abfrage am: 14.7.2020). Reinhold Schulze-Tammena 238 https://doi.org/10.5771/9783748921639-237, am 01.07.2021, 15:44:14 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb Eine weite Definition „digitaler Mündigkeit“ umfasst auch Ansprüche an eine demokratische Gestaltung digitaler Dienstleistungen und Verfahren auf der Systemebene. „Digitale Mündigkeit beinhaltet mehr als nur den bewussten Umgang mit Informationen in sozialen Medien oder den Schutz vor sichtbaren Gefahren wie Cyberbullying, Sexting, Identitätsklau oder Grooming. Politische Jugendbildung sollte verstärkt Wissen über die Hintergründe und Nutzungsmöglichkeiten von Big Data vermitteln und informationelle Selbstbestimmung in den Blick nehmen. Ziel muss es sein, auf diese Weise das Verständnis und das Interesse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an aktuellen Debatten über die politische, rechtliche und kulturelle Gestaltung der Digitalisierung zu befördern.“3 Über digitale Mündigkeit verfügen Kinder und Jugendliche dann – so die These in diesem Beitrag – wenn sie digitale Endgeräte und Anwendungen selbstständig so nutzen, dass sie sich selbst und anderen weder kurznoch langfristig schaden. Das schließt aber auch eine weitreichende demokratische Mitgestaltung politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit ein. Kinder und Jugendliche als Datenproduzenten im Alltag und in der Schule Schule und Elternhaus, Kinder und Jugendliche müssen in Zukunft einen intensiveren und kompetenteren Dialog über Selbstbestimmung, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre in der digitalisierten Welt führen. Für die versierte Nutzung von digitalem Spielzeug, Computerspielen, Sozialen Netzwerken, Videoplattformen, Suchmaschinen etc. ist es notwendig, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern und Lehrkräfte die technischen Verfahren und die dahinterstehenden Geschäftsmodelle besser kennen. Sie müssen umfassender verstehen, dass sie die weitgehend „kostenlose“ Nutzung der Angebote mit wertvollen persönlichen Daten „bezahlen“. 2. 3 Jantschek 2015, 32-38. Wie kann Schule einen Beitrag zur Entwicklung „digitaler Mündigkeit“ leisten? 239 https://doi.org/10.5771/9783748921639-237, am 01.07.2021, 15:44:14 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb „Smartes“ digitales Spielzeug Das kann bereits im Kinderzimmer beginnen, wenn Spielzeug über Bluetooth z.B. durch das Handy oder durch WLAN mit dem Internet verbunden ist. Dieses Spielzeug mag bei Kindern und Jugendlichen gut ankommen, aber es ist auch für Erwachsene nicht leicht zu durchschauen, dass Kinder damit unfreiwillig zu Datenlieferanten werden.4 Spielzeug, das heimlich Bildund Tonaufnahmen von Kindern macht5, das durch Werbung das Spiel unterbricht oder das zu In-App-Verkäufen einlädt, ist problematisch, weil es die Integrität des Spiels und den Schutz der kindlichen Sphäre verletzt.6 Bereits vorschulische Einrichtungen und Grundschulen brauchen in diesem Bereich eine größere Expertise, um Eltern und Kinder besser zu informieren und zu beraten sowie um Eltern und Erziehungsberechtigen die Gelegenheit zu geben, sich kritisch fortzubilden. Zur Aufklärung über Gefahren von digitalem Spielzeug im Vorschulund Grundschulbereich können Verbraucherschutzorganisationen wichtige Partner sein.7

Volume None
Pages 237-254
DOI 10.5771/9783748921639-237
Language English
Journal None

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