Archive | 2021

Datenkompetenz durch edukatives Privacy Nudging: Zentrale Prinzipien und Effekte auf Lernprozesse

 
 
 
 
 
 

Abstract


Die Digitalisierung verändert nicht nur unser privates, sondern auch unser Arbeitsleben. Immer mehr Daten über Individuen sind online verfügbar und werden für die Nutzung von bestimmten Online Services vorausgesetzt. Hierbei verlieren die Nutzenden oft den Überblick, wie und welche Daten sie von sich preisgeben. Dies birgt nicht nur das Risiko der Preisgabe von privaten Daten, sondern auch unternehmensseitig das Risiko, dass wichtige Daten außerhalb des Unternehmens veröffentlicht werden. Hier kann das Konzept des digitalen Nudgings angewandt werden, welches nunmehr auch als edukatives Privacy Nudging genutzt werden kann. Das Konzept bezweckt, Individuen durch bestimmte Elemente wie beispielsweise Defaults zu Verhaltensänderungen anzuregen. Dieser Beitrag hat zum Ziel, einen Überblick darüber zu geben, welche Privacy Nudges es im edukativen Bereich gibt und wie diese mit verschiedenen Lerntheorien in Einklang gebracht werden können. Der Text soll Forschern und Praktikern eine Orientierung geben, selbst edukative Privacy Nudges zu gestalten und endet mit einem Fallbeispiel, das aufzeigt wie einfache Gestaltungsänderungen Individuen dazu anregen können, sich privatheitsfreundlicher zu verhalten und sorgsamer mit ihren privaten Daten umzugehen. Einleitung und Motivation Die fortschreitende Digitalisierung und Entwicklungen von Informationstechnologien ermöglichen eine einfache und zunehmende weltweite Vernetzung. Dies hat Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Wertschöpfungsprozesse und Arbeitsweisen in Unternehmen verändern sich grundlegend. Zentral für diese Art der Wertschöpfung sind Daten, die 1. 255 https://doi.org/10.5771/9783748921639-255, am 14.05.2021, 11:56:17 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb als zentraler ökonomischer Motor agieren, beispielsweise um Angebote von sozialen Netzwerken und anderen Plattformen bestmöglich auf eine bestimmte Gruppe von Nutzenden anzupassen (Krasnova et al. 2010). Mit dieser Entwicklung gehen einerseits enorme Innovationspotenziale einher, beispielsweise die angesprochenen datengetriebenen Geschäftsmodelle. Andererseits entstehen auch große Risiken, welche die Preisgabe und den Umgang mit personenbezogenen Daten in der Plattformökonomie betreffen. Plattformen aller Art sind davon abhängig, dass möglichst viele oder zumindest genug relevante Daten von Nutzenden preisgegeben werden, wodurch beispielsweise das von Zuboff (2019) beschriebene Phänomen des Überwachungskapitalismus entstehen kann. Entsprechend sind Konzepte notwendig, um mit dem Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und den Innovationspotenzialen der Datenökonomie umgehen zu können (Acquisti et al. 2015). Der systematische Aufbau von Datenkompetenz (im Sinne einer spezifischen Form der Medienkompetenz) und die technische Unterstützung entsprechender Lernprozesse zur Sicherstellung eines reflektierten und souveränen Umgangs mit Daten können hierbei als zentrale Instrumente dienen, um diesem Spannungsverhältnis zu begegnen und Individuen ein für sie angemessenes Verhältnis von Privatheit und Datenpreisgabe zu ermöglichen. Gleichzeitig sind Umsetzungsinstrumente notwendig, um diese Kompetenzen zu vermitteln. Dabei gehen wir davon aus, dass klassische Bildungsträger diese nicht allein mit hergebrachten Methoden vermitteln können, sondern proaktive Prozesse wie edukative Nudging-Ansätze im Rahmen der Nutzung von digitalen Plattformen benötigt werden. Die zentrale Grundannahme basiert auf dem Verständnis, dass Datenkompetenz eine wichtige Voraussetzung ist, damit Nutzende von digitalen Plattformen reflektierte Entscheidungen über die Preisgabe personenbezogener Daten treffen können. Beispielsweise wurde im Rahmen des sogenannten Privacy Paradox festgestellt, dass Menschen zwar abstrakt den Schutz ihrer Privatheit stark fokussieren, sie aber dennoch teilweise entgegengesetzt handeln (Smith et al. 2011). Die Gründe dafür sind vielfältig und können u.a. im fehlenden Verständnis für die Konsequenzen der Verletzung von Privatheit, in der Unkenntnis, wie man seine Privatheit schützen kann, und in der Komplexität der technischen Instrumente zur Wahrung der Privatheit liegen (Coventry et al. 2016). Datenkompetenz betrifft nicht nur die Vorstellung, welche Daten preisgegeben werden, sondern auch das Verständnis davon, was mit komplexen Verfahren, z.B. Machine Learning, mit personenbezogenen Daten möglich ist (Jones 2019) und welche Akteure (Nutzende, Datenempfänger und Dritte) hiervon profitieren können. So kann aus der Preisgabe personenbezogener Daten hochA. Janson, L. Kreidel, S. Schöbel, G. Hornung, M. Söllner und M. Leimeister 256 https://doi.org/10.5771/9783748921639-255, am 14.05.2021, 11:56:17 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb wertiges Wissen geschaffen werden. Bisher fehlen aber ein tiefgreifendes Verständnis und entsprechende Handlungskompetenz bei Nutzenden (und Unternehmen), um die mögliche Wertrealisierung einer Preisgabe von (personenbezogenen) Daten einzuschätzen (Günther et al. 2017). Gleichwohl kann aber Datenkompetenz als Grundlage für souveränes Agieren im digitalen Raum dienen. Ansatzpunkte zur Förderung von Datenkompetenz im Rahmen der Nutzung digitaler Angebote kann das sogenannte Privacy Nudging bieten, welches das Verhalten in digitalen Umgebungen vorhersehbar dahingehend beeinflussen soll, dass privatheitsfreundliche Entscheidungen getroffen werden (Adjerid et al. 2019, Acquisti 2009). Hier können edukative Nudges (Heidbrink/Klonschinski 2018), nicht nur das Verhalten beeinflussen, sondern durch eine Reflexion auch Lernprozesse befördern. Ziel dieses Beitrags ist es daher, zentrale Prinzipien des Nudgings zu präsentieren und die datenschutzrechtliche Erforderlichkeit und Zulässigkeit im Anschluss an existierende Diskussionen (Sandfuchs 2015, Sandfuchs/Kapsner 2018) zu behandeln. Des Weiteren werden ausgewählte edukative Nudges vor dem Hintergrund zentraler Lerntheorien dargestellt und diskutiert, ob diese zum Aufbau von Datenkompetenz geeignet sind. Dies wird im Rahmen einer Fallstudie am Beispiel der mobilen Applikation Snapchat beleuchtet, welche aus Sicht des Datenschutzes und der jungen Gruppe von Nutzenden einschlägig ist, um das Thema der edukativen Privacy Nudges zu illustrieren. Theoretischer Hintergrund – Nudges, Digital Nudges und Privacy Nudges Der Ansatz des Nudgings kommt aus den Verhaltenswissenschaften und wurde federführend durch Richard Thaler und Cass R. Sunstein geprägt (Thaler/Sunstein 2008). Nudges versuchen durch externe Veränderungen des Handlungsrahmens Personen in Richtung bestimmter Handlungsoptionen zu „stupsen“ (englisch: to nudge), während die anderen Handlungsmöglichkeiten weiterhin offenstehen und somit die Entscheidungsfreiheit des Individuums erhalten bleibt. Ein Individuum wird lediglich zu einer Handlungsoption „genudged“, deren Folgen – aus Sicht des Nudgenden, d.h. wirklich oder vermeintlich – dem Interesse des Individuums am besten entsprechen. 2. Datenkompetenz durch edukatives Privacy Nudging 257 https://doi.org/10.5771/9783748921639-255, am 14.05.2021, 11:56:17 Open Access http://www.nomos-elibrary.de/agb

Volume None
Pages 255-278
DOI 10.5771/9783748921639-255
Language English
Journal None

Full Text