Carsten Herzberg
University of Potsdam
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Publication
Featured researches published by Carsten Herzberg.
Sociologias | 2012
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
This article pursues two main objectives. First, it aims to deliver the first transnational overview and analysis of participatory budgeting, which in the literature on citizen participation or more specifically democratic innovations, occupies a central place. Second, it combines this broad empirical project with a theoretical approach based on the construction of ideal-types in the Weberian tradition. Namely, it presents six models of citizen participation: participatory democracy, proximity democracy, participative modernisation, multi-stakeholder participation, community development and neo-corporatism. Despite these models are initially conceived in close connection with participatory budgeting and the European context, our contention is that they can help to investigate at transnational scale the socio-political and ideological dynamics, contexts and impacts of civic engagement and democracy today.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Welche konkreten politischen Konsequenzen haben Burgerhaushalte und andere Verfahren der Burgerbeteiligung? In Porto Alegre gab es wie gesehen beachtliche Auswirkungen: deutliche Verringerung des Klientelismus, Aufkommen einer kooperativen Gegenmacht aus der Zivilgesellschaft heraus, Entstehung einer plebejischen Offentlichkeit und Etablierung einer institutionalisierten vierten Gewalt, die sich auf ein partizipatives Verfahren stutzt. Das von Parteien gepragte politische System wurde dadurch zwar nur geringfugig verandert. Nicht desto trotz handelt es sich in Porto Alegre wie bei den meisten Verfahren der Burgerbeteiligung in Lateinamerika – selbst dort, wo nur ein kleiner Teil dieser Veranderungen beobachtet werden kann – selten um eine rein administrativ- institutionelle Angelegenheit, sondern sie sind Teil einer breiteren emanzipatorischen Bewegung zur Forderung der unteren sozialen Schichten. In diesem Sinne gehoren die Ausbreitung von Burgerhaushalten und der Linksruck der meisten sudamerikanischen Staaten zu demselben Transformationsprozess, infolge dessen die unteren Schichten (haufig handelt es sich um Farbige oder Mestize) nach und nach mehr gesellschaftliche Anerkennung erreichen und den sie bisher diskriminierenden „internen Kolonialismus“ uberwinden [Brisset u.a., 2006]. Die Burgerhaushalte haben diesen politischen Wandel durchaus begunstigt. Sie haben den Versuchen einer burgerorientierten Verwaltungsreformen Glaubwurdigkeit verliehen, der Idee einer anderen Politik ein konkretes Gesicht gegeben, einen Ruckgang der Korruption bewirkt und zu einer Forderung der sozialen Bewegungen der unteren Schichten beigetragen. Umgekehrt hat der Aufschwung der institutionellen Linken entscheidend zur Verbreitung der Idee einer Burgerbeteiligung am Haushalt und dessen vermehrter Umsetzung beigetragen. Abgesehen von ihren sozialen Auswirkungen sind die Burgerhaushalte auf dem lateinamerikanischen Kontinent Teil einer grundlegenden Transformation der politischen Machtkonstellationen und der Beziehungen zwischen politischen Eliten und Burgern. Trotz der grosen Differenzen zwischen den einzelnen Fallbeispielen tragen sie folglich zweifellos zur Demokratisierung der Demokratie bei. Kann eine ahnliche Entwicklung, wenn auch in kleinerem Umfang, ebenso in Europa beobachtet werden?
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Vor der detaillierten Einzelanalyse von verschiedenen Beispielen des Burgerhaushalts ist es notwendig, eine erste konzeptuelle Standortbestimmung abzugeben. In einer breit angelegten vergleichenden Studie hat man es mit einer derart grosen Vielfalt zu tun, dass man im Laufe der Untersuchung leicht den Uberblick verlieren kann. Nicht selten kommt es vor, dass sich das Detailverstandnis zu Lasten des Gesamtverstandnisses auswirkt – ein Problem, mit dem wir wahrend unserer Forschungsarbeit haufig konfrontiert waren. Wir haben daher Typologien entwickelt, die eine bessere Orientierung ermoglichen sollen – ahnlich wie es bei der Forschung zu verschiedenen Typen des Wohlfahrtsstaats und Kapitalismus getan wurde. Unsere Definition des Burgerhaushalts stellt, wie im ersten Kapitel deutlich geworden ist, dessen verfahrensbezogene Besonderheiten gegenuber anderen Partizipationsinstrumenten heraus. Aus diesem Grund erschien es angemessen, zunachst eine Typologie der verschiedenen, in Europa praktizierten Verfahren der Burgerhaushalte zu konstruieren.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Um die wachsende Beliebtheit des Burgerhaushalts zu erklaren, konnte man zunachst die strukturellen Veranderungen analysieren, die diese Entwicklung auf makrosoziologischer Ebene begunstigt haben. Wie bereits deutlich geworden ist, gibt es keinen direkten Zusammenhang mit allgemeinen soziookonomischen Faktoren (wie etwa ‚Die Situation der Krise zwingt zu der Suche nach neuen Losungen‘ oder im Gegenteil ‚Die wirtschaftliche Prosperitat erlaubt es, die Burgerbeteiligung zu starken‘). Sollte man daher wieder verstarkt institutionelle Faktoren berucksichtigen und sich beispielsweise der europaischen Einigung zuwenden, von der man annehmen konnte, dass sie eine Konvergenz der lokalen demokratischen Strukturen in Europa im Allgemeinen und die Entwicklung einer partizipativen Dimension im Besonderen begunstigt?
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Nach der Vorstellung zahlreicher europaischer Beispiele des Burgerhaushalts im zweiten Teil der Arbeit geht es nun darum, die Analyseelemente zu systematisieren und eine zweite Typologie zu prasentieren, die jedoch anders als die erste (aus Teil eins des Buches) uber die Beschreibung von Verfahren hinaus geht. Diese zweite Typologie enthalt eine grosere Zahl an Kategorien und beansprucht eine grosere heuristische Reichweite als nur den Burgerhaushalt. Unsere Vorgehensweise bleibt jedoch grundsatzlich dieselbe, denn auch hier geht es darum, die empirischen Falle in einer ‚konzeptuellen Karte‘ zu prasentieren. Umfassende quantitative Analysen sind hier allein schon deshalb ungeeignet, weil es sich um ein junges Phanomen handelt. Diese zweite Typologie dient nicht nur zum besseren Verstandnis der grosen Vielfalt der europaischen Burgerhaushalte, sondern wir sehen sie ebenso als hilfreiche Analysefolie zur Untersuchung anderer partizipativer Verfahren, obwohl die Modelle und Kriterien hierfur eventuell erganzt, angepasst oder korrigiert werden mussen.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Konnen Burgerhaushalte auf sozialem Gebiet eine ebenso viel versprechende Entwicklung vorweisen wie bei der Modernisierung der Verwaltung und in der technischen Demokratie? Von den Globalisierungsgegnern wird das Verfahren von Porto Alegre als Baustein einer Alternative zum Neoliberalismus prasentiert. Die Ubernahme des Konzepts auch durch internationale Organisationen ermoglicht eine distanziertere Betrachtung, wenngleich eine Tatsache keine Zweifel zulasst und auch von wissenschaftlichen Studien belegt wurde: Die lateinamerikanischen Burgerhaushalte haben zu bedeutenden sozialen Verbesserungen gefuhrt [Marquetti/de Campos/Pires, 2007; BIRD/BM, 2008]. Diese Verbesserungen basieren einerseits auf Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit, nach denen den armsten Bevolkerungsschichten mehr Ressourcen zugeteilt werden als besser gestellten Bevolkerungsgruppen. Andererseits sind sie darauf zuruckzufuhren, dass gerade diese benachteiligten Gruppen massiv von den Burgerhaushalten Gebrauch machen, so dass er auch als ‚Instrument der Armen‘ gilt. Wie sieht es dagegen in Europa aus? Inwiefern unterscheiden sich Burgerhaushalte von anderen institutionellen Partizipationsverfahren?
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
In Deutschland wurde ein Burgerhaushalt uber Investitionen nicht nur aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Kommunen abgelehnt. Die Einfuhrung eines solchen Verfahrens ist nach Meinung vieler deutscher Politiker auch nicht gerechtfertigt, da man von Armut und Korruption in einem viel geringeren Mas betroffen sei als in Brasilien. Ein weiteres Argument ist, dass allein die gewahlten Reprasentanten die Legitimation hatten, uber Verteilungsfragen zu entscheiden. In Spanien, in geringerem Mas auch in Italien, wird dies mitunter ganz anders gesehen. Die Idee einer Burgerbeteiligung am Haushalt ist eng mit einer Delegation von Entscheidungskompetenz und der Forderung sozialer Gerechtigkeit verbunden. Im Gegensatz zu Deutschland konnen die Teilnehmer oft Einfluss auf die Regeln des Verfahrens nehmen. Viele der Politiker, die einen Burgerhaushalt unterstutzen, waren selbst in Porto Alegre und haben sich auf den Weltsozialforen von der Vision einer neuen lokalen Demokratie begeistern lassen. Auf dem im Vorfeld tagenden „Forum der lokalen Autoritaten“, einer Versammlung von Burgermeistern und lokalen Mandatstragern, werden gegenseitige Besuche und gemeinsame Projekte verabredet. Eine besondere Bedeutung hat in dieser Funktion das Programm URB-AL erhalten, indem sich, unterstutzt durch eine Finanzierung der EU, Stadte und Gemeinden aus Lateinamerika und Europa zum Netzwerk „Kommunale Finanzen und Burgerhaushalte“ zusammengeschlossen haben [Cabannes, 2003]. An vorderster Stelle stehen auf europaischer Seite Spanien und Italien. Dies kommt nicht von ungefahr, die beiden Lander reprasentieren mittlerweile die starkste Kraft des Burgerhaushalts in Europa – nirgendwo sonst wachst die Zahl der Beispiele so schnell wie hier. Auf den nachsten Seiten werden einige Verfahren vorgestellt und ihre konkreten Ergebnisse, Probleme und Herausforderungen diskutiert.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Fast 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind sich die Staaten und Volker Europas so nah wie nie zuvor. Der Kalte Krieg ist nur noch eine fernliegende Erinnerung und die mitunter gewalttatigen Konflikte, die dem Fall der kommunistischen Regime folgten, scheinen heute der Vergangenheit anzugehoren. Zum ersten Mal in der Geschichte ist der groste Teil des Kontinents durch gemeinsame Institutionen vereint, die auf reprasentativer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegrundet sind. Eine von allen geteilte demokratische Kultur beginnt sich zu festigen. Wie der Soziologe Klaus Eder bemerkte, findet der direkte politische Austausch zwischen Akteuren verschiedener Lander zwar im Wesentlichen innerhalb der institutionellen Sphare (Parteien, Parlamente, etc.) statt, jedoch werden in der europaischen Offentlichkeit immer haufiger die gleichen Themen diskutiert – und dies in immer ahnlicheren Begriffen, wie es die Lekture der grosen Zeitungen belegt. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts spielt das europaische Parlament eine wachsende Rolle, Parteien und Gewerkschaften koordinieren sich mehr und mehr auch auf europaischer Ebene, und die Sozialforen der globalisierungskritischen Bewegung ermoglichen eine unmittelbare Kommunikation zwischen den Akteuren der Zivilgesellschaft. In Bezug auf diese Entwicklung stellte der zweite Golfkrieg eine entscheidende Wende dar: ohne Zweifel bildete sich zum ersten Mal eine aktive europaische offentliche Meinung heraus und die Burger jener Staaten, die auf Seiten der Vereinigten Staaten standen, konnten sich zumindest teilweise durch das Regierungsoberhaupt eines anderen Lands vertreten fuhlen.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Ende der 1980er Jahre wurde, angefuhrt von der Arbeiterpartei PT, ein Bundnis linker Parteien in das Rathaus von Porto Alegre gewahlt, das mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern zu den grosen Stadten im Suden Brasiliens zahlt. Das Land beendete zu dieser Zeit den Transitionsprozess zur Demokratie, der ein gutes Jahrzehnt gedauert hatte – von den grosen Arbeiterkampfen der zweiten Halfte der 1970er Jahre bis zur Annahme einer neuen, sehr fortschrittlichen Verfassung im Jahr 1988. Brasilien zahlte damals wie heute nicht nur zu den zehn grosten Wirtschaftsmachten der Welt, sondern auch zu den Landern mit einer besonders ausgepragten sozialen Ungleichheit, weshalb der Kampf gegen die Diktatur neben der Demokratisierung auch auf die Verbesserung der sozialen Verhaltnisse abzielte. Der Bundesstaat Rio Grande do Sul, dessen Hauptstadt Porto Alegre ist, hat gegenuber der Bundesregierung schon immer eine Besonderheit dargestellt. Im Gegensatz zu dieser ist seine politische Kultur von alternativ-linken Traditionen gepragt. Die sozialen Ungleichheiten sind hier weniger stark ausgepragt als im ubrigen Land und die offentliche Verwaltung funktioniert – tendenziell – besser.
Archive | 2010
Yves Sintomer; Carsten Herzberg; Anja Röcke
Dieses Zitat des ehemaligen Gesundheitsministers aus dem Blair-Kabinett fuhrt in medias res der Debatten um Burgerbeteiligung im Vereinigten Konigreich. Das dortige Szenario unterscheidet sich sowohl von der ‚partizipativen Modernisierung‘ aus Deutschland und Finnland, als auch von den Verfahren aus Spanien und Italien, die sich sehr stark am Vorbild Porto Alegres orientieren, und von den Erfahrungen mit der ‚burgernahen Demokratie‘, wie sie sich in Frankreich und anderen Landern entwickelt haben. Im Zentrum stehen einerseits die Beteiligung und das empowerment von communities und andererseits eine konsequente Kundenorientierung im Rahmen der Reform der offentlichen Verwaltung. Hier wird bereits eine Spannung deutlich, die auch den Burgerhaushalt in Grosbritannien insgesamt kennzeichnet. Geht es um eine Form der Kundenorientierung, die eher von der Logik des New Public Management geleitet wird, oder steht starker die Ubertragung von Macht (empowerment) an zivilgesellschaftliche Gruppen im Mittelpunkt des Interesses? Inwiefern wird die Burgerbeteiligung von einer neoliberalen Politikausrichtung gepragt und welchen Einfluss haben private Unternehmen in diesem Bereich?