Gert Ueding
University of Tübingen
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Featured researches published by Gert Ueding.
Archive | 2009
Jan Iluk; Gerd Antos; Manfred Beetz; Joachim Dyck; Wolfgang Neuber; Peter L. Oesterreich; Gert Ueding
The first part of the article discusses the communicative function of the texts in textbooks. The research on the texts, used in education, shows that they are not adapted to the students! perception abilities. The problem seems quite significant as 25% of students population display the lowest reading competence level possible. The extremely low reading competence makes knowledge acquisition through texts hardly possible. The subsequent part of the article presents the methods of measuring terminological and syntactic difficulty of a text and demonstrates the influence that these parameters exert upon the effectiveness of work with a text. The article also focuses on the influence of the text title and »strategic places« on data processing and memorization of the content of the text. The cognitive models of perception and processing presented are most appropriate tools to structure learning processes through texts and to assess the texts! role in education.
Archive | 2009
Bernhard Asmuth; Gerd Antos; Manfred Beetz; Joachim Dyck; Wolfgang Neuber; Peter L. Oesterreich; Gert Ueding
In antiquity, comprehensibility is not a prevalent topic. If it is mentioned at all, it occurs randomly in the context of rhetorical stylistics, especially in connection with the four or five classical virtutes elocutionis, today better known as principles of style. Comprehensibility, or in the present case rather: intelligibility, appears as a version of one of these principles, which is perspicuitas or clarity. It represents the communicative side of clarity. Chief witnesses are Cicero and Quintilian. Another aspect are the restrictions of intelligibility. On the one hand, they are due to clarity(s problematic relation to other principles of style, i. e. brevity and ornamentation. On the other, they result from the very lack of clarity that is the incentive for insight in the first place. To complete the picture, this paper gives a glimpse at the principles of naturalness and vividness, which emerged during the 18th century. In the end, the adjustment of intelligibility to the intellect of the addressees is taken into consideration. 1. Verst ndlichkeit als Aspekt des Stilprinzips Klarheit Wichtigster Beitrag der klassischen, d. h. der durch die Antike begr/ndeten, Rhetorik zum Thema Verst ndlichkeit ist ein Stilprinzip, das die Griechen im 4. Jahrhundert vor Christus entwickelten. Sie nannten es sajh6 neia (saphēneia). Bekannter ist es unter der lateinischen Bezeichnung perspicuitas. Der rçmische Redelehrer Quintilian (etwa 35– 100 n. Chr.) f/hrte sie in seiner Institutio oratoria ein1, der mit Abstand umfangreichsten antiken Rhetorik. Das im folgenden zu diesem Stilprinzip herangezogene Quellenmaterial entspricht großenteils dem des 2003 erschienenen Artikels Perspicuitas im Historischen Wçrterbuch der Rhetorik2, besonders in dessen Antike-Abschnitt. Nur ordne ich es diesmal nicht prim r chronologisch, sondern systematisch. Wçrtlich bedeutet perspicuitas »Durchsichtigkeit« (von perspicere, hindurchsehen, durchschauen). So verdeutscht Helmut Rahn das Wort in seiner Quintilian-Abersetzung. Die zugehçrigen Adjektive perspicuus, illustris und lucidus bzw. das h ufigere dilucidus beruhen ebenfalls auf Lichtbzw. Sehmetaphorik. Nichtoptische Synonyma hierf/r sind planus (flach, eben), manifestus (handgreiflich) und apertus (offen). Diese dr/cken aus, Jahrbuch Rhetorik · Band 28 1 10.1515/rhet.2009.003 1 Marcus Fabius Quintilianus, Institutionis oratoriae libri XII. Ausbildung des Redners. Zwçlf B/cher, hg. u. /bers. v. Helmut Rahn, 2 Bde., Darmstadt 1975 [im folgenden zitiert als: Quintilian, Inst. or.], Buch VIII, Kap. 2, §1. 2 Bernhard Asmuth, Perspicuitas, in: Historisches Wçrterbuch der Rhetorik, hg. v. Gert Ueding, T/bingen 1992ff., Bd. VI, T/bingen 2003, Sp. 814–874. daß etwas durch Gehen, Greifen oder auch Sehen leicht erreichbar ist. Georg von Trapezunt schlug im 15. Jahrhundert claritas anstelle von perspicuitas vor.3 Dem entsprechen seit der fr/hen Neuzeit italienisch chiarezza, franzçsisch clart und englisch clarity. Die deutsche Terminologie ist widerspr/chlich. Vom 17. bis 19. Jahrhundert /bersetzte man perspicuitas durchweg als Deutlichkeit, seit dem sp ten 18. Jahrhundert auch und seit dem 20. Jahrhundert /berwiegend als Klarheit, nur vereinzelt als Verst ndlichkeit.4 So verdeutscht um 1700 ein Wçrterbuch italienisch »con gran perspicuità« als »mit groszer verst ndlichkeit«.5 Ueding und Steinbrink geben perspicuitas in ihrem Grundriß der Rhetorik teils als Klarheit6, teils als Deutlichkeit wieder7, einmal auch als Verst ndlichkeit.8 Kennzeichnend f/r das begriffliche Schwanken ist Adelungs Rußerung von 1785: Klarheit und Deutlichkeit sind zwey Nahmen einer und eben derselben Eigenschaft, nur mit dem Unterschiede, daß der erstere ein wenig mehr fig/rlich ist, als der letztere. Klar nennet man das, was viele Lichtstrahlen durchl ßt, einen hohen Grad der Durchsichtigkeit hat. Die Klarheit des Styles, bey den Rçmischen Schriftstellern Perspicuitas, ist also diejenige Eigenschaft desselben, nach welcher die ganze Vorstellung, welche der Sprechende hat, rein und unvermischt durch die Worte gleichsam durchscheinet; wo der Vortrag lauter Licht, und die Rede ein heller Strom ist, wo man /berall auf den Grund sehen kann. Deutlich, oder mit einem andern bey nahe gleich bedeutenden Ausdrucke, verst ndlich ist, was leicht gedeutet oder verstanden werden kann, d.[as] i.[st] dessen Sinn sich ohne M/he entdecken l ßt, und sich mit den Worten dem Leser gleichsam von selbst aufdringet.9 F/r Adelungs Gleichsetzung von deutlich und verst ndlich spricht die Ausgangsbedeutung von deuten, n mlich »volksverst ndlich machen«.10 Heute bezeichnet deutlich allerdings ebenso wie klar prim r die Textqualit t. Verst ndlich meint dagegen immer noch eindeutig die kommunikative Ausrichtung. Verst ndlichkeit ist der perspicuitas also nicht schlechthin gleichzusetzen. Sie verkçrpert deren publikumszugewandte Seite und damit einen Teilaspekt, wenn auch den vielleicht wichtigsten. Rußerungen aus der Antike zum Thema Verst ndlichkeit finden sich jedenfalls am ehesten im Umkreis der perspicuitas. Diese verstreuten Rußerungen gilt es im folgenden zu sichten und auszuwerten. Zuvor seien jedoch Stellenwert und Entwicklung der perspicuitas in der antiken Rhetorik umrissen und damit der Ordnungsrahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die heranzuziehenden Rußerungen bewegen. 2 Jahrbuch Rhetorik · Band 28 Bernhard Asmuth 3 Georgius Trapezuntius, Rhetoricorum libri quinque, hg. u. eingeleitet v. Luc Deitz, Hildesheim 2006 [im folgenden zitiert als: Trapezuntius, Rhetorica], 496. 4 Vgl. Asmuth, Perspicuitas, Sp. 814. 5 Matthias Kramer, das herrlich grosse teutsch-itali nische dictionarium oder wortund red-arten-schatz der unvergleichlichen hoch-teutschen grundund haupt-sprache, N/rnberg 1700–1702, Teil 2, 942c; zitiert nach: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wçrterbuch, 33 Bde., Nachdruck M/nchen 1984, XXV, 1595; XXXIII, 492. 6 Gert Ueding / Bernd Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, Stuttgart 1986, 133. 7 Ebd. 209–211. 8 Ebd. 99. 9 Johann Christoph Adelung, Ueber den Deutschen Styl, Berlin 1785, Teil I, 126. 10 Friedrich Kluge / Walter Mitzka, Etymologisches Wçrterbuch der deutschen Sprache, 18. Aufl., Berlin 1960, 129; vgl. auch Grimm, Wçrterbuch, XXV, 1589–1595 [Artikel »verst ndlich« und »verst ndlichkeit«]. 2. Der Stellenwert der Klarheit im System der Rhetorik Die antike Redekunst gliedert sich nach den f/nf Herstellungsschritten der Rede in inventio (Erfindung bzw. Materialsammlung), dispositio (Gliederung), elocutio (Ausformulierung), memoria (Einpr gen bzw. Auswendiglernen) und pronuntiatio bzw. actio (stimmlicher und gestischer Redevortrag). Kernst/ck ist die elocutio (auch »Ausschm/ckung teutsch genant«11). Aus ihr ging um 1800 die prim r auf Schrifttexte ausgerichtete Stilistik hervor, eine »Schwundstufe der Rhetorik«, wie Sengle diese heute vorrangig der Sprachwissenschaft zugeordnete Disziplin genannt hat.12 In der Elokutionstheorie wie ja auch in der sie fortsetzenden Stilistik geht es im wesentlichen um drei Bereiche, n mlich Stilmittel (Tropen und rhetorische Figuren), Stilebenen (hoch, mittel, niedrig) und Stilprinzipien. Zu letzteren, die in der Antike als virtutes elocutionis, also als Stiltugenden, bezeichnet wurden, z hlt die perspicuitas bzw. Klarheit. Sie beansprucht einen herausragenden, allerdings nicht einheitlich bestimmten Platz. Es konkurrieren haupts chlich zwei Konzepte. In der Schule des athenischen Redelehrers Isokrates (436 –338 v. Chr.) und in der ihr verpflichteten, fr/her dem Philosophen Aristoteles, heute dem Anaximenes von Lampsakos zugeschriebenen Rhetorica ad Alexandrum (Rhetorik an Alexander, um 340 v. Chr.) erscheint Klarheit als eines von drei Gestaltungsprinzipien f/r den Redeteil narratio (d. h. Erz hlung), also f/r die Schilderung des insbesondere vor Gericht zu verhandelnden Sachverhalts. Die beiden anderen Prinzipien sind K)rze und Wahrscheinlichkeit, letztere im Sinne von Glaubw/rdigkeit. Die Rçmer machten sich diese drei Narrationsprinzipien zueigen. Das geschieht schon in der ltesten lateinischen Rhetorik, der anonymen, nach ihrem Adressaten benannten Rhetorica ad Herennium (um 85 v. Chr.). Sie galt im Mittelalter als Hauptquelle antiker Rhetorik, auch weil sie bis zum 15. Jahrhundert Cicero zugeschrieben wurde, Roms ber/hmtestem Redner und Redetheoretiker. In dieser Herennius-Rhetorik heißt es zur narratio: »sie soll kurz, sie soll deutlich, sie soll wahrscheinlich sein« (ut brevis, ut dilucida, ut veri similis sit).13 Ausf/hrlicher und mehrfach ußert sich Cicero selber (100– 43 v. Chr.) zu diesen Forderungen.14 Deutlichster Beleg ist indes eine knappe Rußerung Quintilians, die ausdr/cklich auf Isokrates verweist.15 Jahrbuch Rhetorik · Band 28 3 Der Beitrag der klassischen Rhetorik zum Thema Verst ndlichkeit 11 Kaspar Stieler, Die Dichtkunst des Spaten (1785), hg. v. Herbert Zeman, Wien 1975, Vers 2747. 12 Friedrich Sengle, Biedermeierzeit, 3 Bde., Stuttgart 1971, I 280; hnlich ders., Die literarische Formenlehre, Stuttgart 1967, 7: »Die Rhetorik [...] schrumpfte zur Stilistik«. Vgl. auch Bernhard Asmuth, Stilprinzipien, alte und neue. Zur Entwicklung der Stilistik aus der Rhetorik, in: Eva Neuland / Helga Bleckwenn (Hg.), Stil – Stilistik – Stilisierung. Linguistische, literaturwissenschaftliche und didaktische Beitr ge zur Stilforschung, Frankfurt a. M. 1991, 23–38; Konrad Ehlich, »Stil«-Abung, in: Inken Keim / Wilfried Sch/tte (Hg.), Soziale Welten und kommunikative Stile (Festschrift f/r Werner Kallmeyer), T/bingen 2002, 39–45. 13 Rhetorica ad Herennium, lat.-dt., hg. u. /bers. v. Theodor N/ßlein, 2. Aufl., D/sseldorf / Z/rich 1998 [im folgenden wie /blich zitiert als Auct(or) ad Her(ennium)], Buch I, Kap. 14. 14 Cicero, De inventione I 28; ders., Orator, lat.-dt., hg. v. Bernhard Kytzler, M/nchen 1975, §122; vgl. auch dens., De oratore. Aber den Redner, lat.-dt., /bers. u. hg. von Harald Merklin, 2. Aufl., Stuttgart 1981 [abgek/rzt: De or.], Buch II 80–83. 15 Quintilian, Inst. or. IV 2, 3
Archive | 2009
Harald Wohlrapp; Gerd Antos; Manfred Beetz; Joachim Dyck; Wolfgang Neuber; Peter L. Oesterreich; Gert Ueding
Josef Kopperschmidt hat in dem letzten Band dieser Zeitschrift (27 [2008] 170–178) eine Rezension zu meinem Buch1 verçffentlicht. Es ist ein langer Text, 7+ eng bedruckte Seiten, auf denen allerlei Merkw0rdiges zu lesen ist, 0ber den Rezensenten, 0ber mich und auch 0ber mein Buch. Ich fand, als ich mir das angeschaut hatte, daß ich etwas dagegen sagen sollte, habe mich an den Herausgeber gewandt, und der hat mir freundlicherweise einige Seiten f0r eine Replik zugesagt. Nun wurden in Kopperschmidts Text die geneigten Leser durch drei umf7ngliche Vorbemerkungen auf die richtige Art der Lekt0re eingestimmt, und deshalb erlaube auch ich mir eine kleine Bemerkung vorweg. Ich bin dem Rezensenten nicht etwa persçnlich gram 0ber diese Besprechung – wenn auch meine Formulierungen im folgenden Text manchmal wohl sehr ungeduldig klingen. Ich rede hier eben, ganz entsprechend dem, wie er es auch schreibt, nicht prim7r zu ihm, sondern zu den Lesern seiner Rezension. Meine Replik geht auf vier Punkte ein: die – vom Rezensenten bestrittene – Notwendigkeit einer philosophischen Grundlegung, dann die Grundoperationen, den Geltungsbegriff, die Transsubjektivit7t. Am Ende gibt es noch eine kurze Anmerkung zum Stil der Rezension. Zum ersten Punkt: Das Ziel meines Buches ist eine Definition des Begriffs des Arguments, aber nat0rlich nicht im Sinne einer einfachen Formel, sondern im Sinne einer umfassenden Begriffsbestimmung, die sich vern0nftig ausweisen l7ßt. Wie ist so etwas zu machen? Ich meine dadurch, daß eine solche Begriffsbestimmung (man braucht ja dabei andere Begriffe, derer man sich schon sicher sein kann) Schritt f0r Schritt aufgebaut wird; und zwar – und dies ist das Besondere – argumentierend aufgebaut wird, also so, daß diese begriffliche Arbeit auch f0r andere als vern0nftig eingesehen werden kann. Daß eine so verstandene Definition nicht aus irgendwelchem schon verf0gbaren Wissen zwingend hergeleitet werden kann, versteht sich von selber. Eben deshalb muß f0r sie argumentiert werden. Soll aber das Argumentieren jenseits formaler Transformationen irgendeine Verbindlichkeit bekommen, dann muß wenigstens einige Klarheit dar0ber herrschen, worauf es beim »richtigen« oder »guten« Argumentieren eigentlich ankommt. Dieses ist jedoch zur Zeit vollkommen unklar. Unter anderem liegt das daran, daß bei einer mçglichen Kl7rung die großen philosophischen Fragen tangiert sind, also: Was ist Vernunft (im Unterschied zu bloß verst7ndiger Rationalit7t), was ist die Freiheit der Einsicht, wieweit sind dabei Subjektivit7t und Emotionalit7t involviert, wie verbindlich ist das
Archive | 2005
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Sein Ziel, die Zuhorer oder Leser vom eigenen Standpunkt in einer Sache zu uberzeugen, so das sie ihre Meinung, gegebenenfalls ihre Haltung und Gesinnung, im gewunschten und schlieslich richtigen Sinn andern, kann der Redner auf dreierlei Weise erreichen. Einmal durch die Belehrung (pragma, docere), die auf einen rationalen Erkenntnisprozes zielt und die intellektuellen Fahigkeiten der Adressaten anspricht (diesen Zweck hat die Rhetorik mit der Philosophie und anderen Wissenschaften gemeinsam), sodann durch die emotionale Stimulierung des Publikums, die auf die Erregung sanfter, gemasigter, milder Affekte (ethos, delectare, conciliare) zielt, und schlieslich durch die Erregung der Leidenschaften (pathos, movere, concitare).
Archive | 2005
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Im folgenden sollen die Teile der Rede im einzelnen und in ihrer Abfolge behandelt werden: der Redeanfang (exordium), die Erzahlung (narratio), die Beweisfuhrung (argumentatio) und der Redeschlus (peroratio). Der Ubergang von einem Redeteil zum anderen wird transitus (bei Quint. IV,1,77) oder transgressio (bei Quint. IV,1,78) genannt, die Kunst der transgressiones ist zwischen allen Teilen der Rede anzuwenden, sie soll jedoch nicht manieristisch ausufern (s. Quint. IV,1,77); auf Besonderheiten der transgressiones wird in den einzelnen Unterpunkten jeweils eingegangen, sofern es notig erscheint.
Archive | 2005
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Die praktische Ausubung der Redekunst im Ernst- oder Schulfall wird exercitatio genannt, sie war in den Redeschulen fester Bestandteil des Unterrichts und ist konstitutiv fur das europaische Bildungssystem geworden. »Rhetorik als Disziplin jedoch beruht seit der Antike nicht auf einer Zweiheit von doctrina und elaboratio, sondern auf der Dreiheit von doctrina (bzw. praecepta), exempla und imitatio.« (W. Barner, Barockrhetorik, S. 59) Die Ubung umfaste Lese- und Horubungen (legendo, audiendo), Schreibubungen (scribendo) und Sprechubungen (dicendo).
Archive | 1997
Gert Ueding
Im Faust hat G. eine Ansicht der Rhetorik formuliert, die bis heute mit seinem Verhaltnis zur Redekunst identifiziert wird. Sie findet sich in der Nacht uberschriebenen Szene zwischen Faust und Wagner, gehort zu den altesten, bereits im Urfaust dokumentierten Teilen des Stuckes und stammt damit ihrer Substanz nach noch aus der Sturm und Drang- Periode ihres Verfassers. »Es tragt Verstand und rechter Sinn / Mit wenig Kunst sich selber vor; / Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen, / Ist’s nothig Worten nachzujagen? / Ja, eure Reden, die so blinkend sind, / In denen ihr der Menschheit Schnitzel krauselt, / Sind unerquicklich wie der Nebelwind, / Der herbstlich durch die durren Blatter sauselt!« (WAI, 14, S. 34f., V. 550–557). Mit diesen Worten fertigt der an sich und seiner Profession verzweifelnde Faust in geniezeitlicher Manier die schulerhaft beflissenen Bemerkungen seines nachtlichen Besuchers ab. Doch verbietet es sich schon methodisch, das Rollenbekenntnis einer Kunstfigur so pauschal auf ihren Autor zu ubertragen, noch dazu, wenn sie auf eine fruhe, von ihm selber spater hochst zwiespaltig betrachtete Phase seiner Entwicklung zuruckgeht.
Archive | 1986
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Sein Ziel, die Zuhorer oder Leser vom eigenen Standpunkt in einer Sache zu uberzeugen, so das sie ihre Meinung, gegebenenfalls ihre Haltung und Gesinnung im gewunschten und schlieslich richtigen Sinn andern, kann der Redner auf dreierlei Weise erreichen. Einmal durch die Belehrung (docere), die auf einen rationalen Erkenntnisprozes zielt und die intellektuellen Fahigkeiten der Adressaten anspricht (diesen Zweck hat die Rhetorik mit der Philosophie und anderen Wissenschaften gemeinsam), sodann durch die emotionale Stimulierung des Publikums, die auf die Erregung sanfter, gemasigter, milder Affekte (delectare, conciliare) zielt und schlieslich durch die Erregung der Leidenschaften (movere, concitare).
Archive | 1986
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Inventio ist die Bezeichnung fur das Auffinden der Gedanken und stofflichen Moglichkeiten, die sich aus einem Thema bzw. aus einer Fragestellung entwickeln lassen. Voraussetzung dafur ist das sorgfaltige, grundliche Studium aller Umstande, die mit der zu behandelnden Sache in Zusammenhang stehen; der erste Schritt liegt deshalb in der intellectio (das Erkennen des Redegegenstandes): dem Aufnehmen, Verstehen und Beurteilen des Vorgegebenen. »Sobald ich den Gegenstand der Rechtssache grundlich erforscht habe, so tritt mir sogleich der eigentliche Streitpunkt vor die Seele« (Cic. de or. 2,24,104; vgl. auch Cic. de or. 2,50,132). Dieses Erkennen des Streitpunktes ist wichtig fur das Auffinden passender Gedankengange und sicherer Beweise. Sie sollen — hinsichtlich der geforderten Mannigfaltigkeit der Rede (s. Cic. de or. 2,41,177) und ihrer drei Uberzeugungsmittel des docere (belehren), delectare (unterhalten) und movere (bewegen, mitreisen) — reichhaltig sein.
Archive | 1986
Gert Ueding; Bernd Steinbrink
Im folgenden sollen die Teile der Rede im einzelnen und in ihrer Abfolge behandelt werden: der Redeanfang (exordium), die Erzahlung (narratio), die Beweisfuhrung (argumentatio) und der Redeschlus (peroratio). Der Ubergang von einem Redeteil zum anderen wird transitus (bei Quint. 4,1,77) oder transgressio (bei Quint. 4,1,78) genannt, die Kunst der transgressiones ist zwischen allen Teilen der Rede anzuwenden, sie soll jedoch nicht manieristisch ausufern (s. Quint. 4,1,77); auf Besonderheiten der transgressiones wird in den einzelnen Unterpunkten jeweils eingegangen, sofern es notig erscheint.