Karin Sauer

Die religiöse Landschaft in Deutschland

Die religiose Landschaft in Deutschland ist vielfaltiger denn je. Entsprechend vielfaltig sind die Begriffsbestimmungen von „Religion“. Grundsatzlich lassen sich eine substanziell orientierte, eine funktionale und eine diskursiv orientierte Bestimmung von Religion unterscheiden. Die substanzielle Orientierung geht von Inhalten und Merkmalen aus, die konventionell Religionen zugesprochen werden, insbesondere dem Vorhandensein von Gottesvorstellungen und Regelungen zum Verhaltnis zwischen gottlicher und menschlicher Sphare.

Referenzrahmen Berufsschule für die Sektenprävention

Zur Beschreibung des Lernortes Berufsschule ist es wichtig, zunachst grundsatzlich einen Blick auf die Berufsschullandschaft in Deutschland zu werfen. Das System der Beruflichen Schulen ist sehr vielfaltig und komplexer als das der allgemeinbildenden Schulen. Das gilt sowohl im Blick auf die Vielzahl beruflicher Karrieren, zu denen qualifiziert wird, als auch fur die zeitlichen Strukturen der Angebote (Vollzeit- und Teilzeitschulformen), die Aufteilung in spezifisch berufliche und allgemeinbildende Ausbildung (z. B. duales System oder mehrjahrige Fachschulen) und fur unterschiedliche Vorbildung und Altersgruppen der SchulerInnen (SchulerInnen ohne Schulabschluss im Berufsvorbereitungsjahr, SchulerInnen mit Realschulabschluss etwa in einer Verwaltungsberufsschule oder SchulerInnen einer 12.

Perspektiven für die Unterrichtsvorbereitung

Uber Einzelmasnahmen in den oben skizzierten Bereichen hinaus ist das Thema Sekten insbesondere in das Unterrichtsgeschehen des Religionsunterrichts einzubinden. Die Aufgabe der Sektenpravention ist durch eine entsprechende Unterrichtsgestaltung integrativ zu erfullen. Hilfreich ist dabei nach unserer Einschatzung die Anknupfung an Wolfgang Klafki und seine Konzeption einer „kritisch-konstruktiven Didaktik“. Diese stellt die Lebenswirklichkeit der Schulerinnen und Schuler innerhalb der Gesellschaft in den Mittelpunkt und zielt auf Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidaritat.

Berufsschulischer Religionsunterricht als präventives Handlungsfeld

Konzeptionen im Bereich der Praventionsarbeit zur Sektenproblematik beschranken sich bislang auf einige vor allem von Beratungsstellen erarbeitete Veroffentlichungen sowie wenige Beitrage in der Fachliteratur. Daruber hinaus gibt es in den letzten Jahren vermehrt Arbeitsmaterial im Bereich der Jugend- und Erwachsenenbildung, die den praventiven Ansatz mit einbeziehen. Dabei fallt auf, dass der Paradigmenwechsel in der Praventionsarbeit auf dem Gebiet der Sektenproblematik in der padagogischen Literatur noch nicht ganz durchgedrungen zu sein scheint.

Sektenprävention im pädagogischen Kontext

In Anbetracht der Ergebnisse der Analyse zur Sektenproblematik und der Charakterisierung der Betroffenengruppe Jugendliche sollte das Thema „Sekten“ fur die BerufsschulerInnen auch eine praventive Bedeutung haben. Die Schulerinnen und Schuler sollten vor dem Gefahrdungspotenzial konflikttrachtiger Gruppierungen in ihrer weiteren personlichen und beruflichen Entwicklung moglichst geschutzt werden, anders ausgedruckt: auf diese Gefahrdung aufmerksam gemacht, gegen diese stabilisiert und in ihrer Selbstbestimmung auch in diesem Bereich gestarkt werden.

Das Phänomen „Sekte“ – Begriff, Merkmale und Problemfelder

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat das Wort Sekte eine negative Konnotation. Daher wird eine Sekte jeweils nur von Ausenstehenden als eine Sekte bezeichnet. Stefan Schlang vom Informations- und Dokumentationszentrum Sekten/Psychokulte des Landes Nordrhein-Westfalen sieht darin einen „Kampfbegriff im religiosen und weltanschaulichen Meinungsstreit“. Anders im Bereich der Wissenschaft, wo der Sektenbegriff keine Wertung enthalt. Im Folgenden wird der Begriff innerhalb dieses breiten Spektrums naher erlautert.

Jugend und Religion im berufsschulischen Kontext

Die allgemeinen Entwicklungen in der religiosen Landschaft sind in ihren Hauptaussagen auch fur den Jugendbereich zutreffend. Es geht im Folgenden darum, zum einen spezielle religionssoziologische Befunde zum Verhaltnis Jugendlicher zur Religion zu sichten, zum anderen die entwicklungspsychologischen Aspekte der Jugendphase mit dem besonderen Blick auf Berufsschuler zu erortern.

Karin Sauer: Untersuchung zu Anfragen von Betroffenen einer Sektenproblematik

Ansatzpunkt fur diese Untersuchung der Sektenproblematik sind die telefonischen Anfragen, die bei der Informationsstelle fur Weltanschauungsfragen in Karlsruhe eingehen. Grundlage ist meine Tatigkeit als Diakonin in der Informationsstelle. Die telefonischen Anfragen wurden im Zeitraum Mitte April bis Ende Mai 2013 systematisch erfasst. Angemerkt sei hier, dass es sich nicht um eine Untersuchung nach den strengen Standards quantitativer oder qualitativer Sozialforschung handelt. Fur eine quantitative Studie ist die Datengrundlage nicht ausreichend. Eine qualitative Studie erfordert die exakte Wiedergabe der erfassten Aussagen und ihre kodifizierte Analyse. Dies ist aufgrund des speziellen Beratungssettings nicht moglich gewesen. Dennoch geben die erfassten Daten wichtige Hinweise auf Motiv- und Problemlagen von Betroffenen der Sektenproblematik. Die Untersuchung ist demnach als Erkundungsstudie zu verstehen.

Prävention stärken - Potenziale entfalten

Als Ergebnis unserer Arbeit lasst sich festhalten: Der Religionsunterricht an beruflichen Schulen kann erheblich und in vielfaltiger Weise dazu beitragen, Jugendliche vor „destruktiven Gruppierungen“ im Bereich des Religiosen zu schutzen. Er kann dies leisten durch die Ausbildung religioser Kompetenz, durch eine allgemeine Starkung der Selbstbestimmung der Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit religiosen Angeboten und schlieslich durch die konkrete Vermittlung von Fachkenntnissen zu Sekten und problematischen weltanschaulichen Gruppierungen. Der BRU kann allgemein die „Mundigkeit in weltanschaulichen Bezugen“ starken und Schulerinnen wie Schuler auch fur ihr weiteres Leben vor moglichen Risiken schutzen.