Micha Brumlik
Goethe University Frankfurt
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Featured researches published by Micha Brumlik.
Archive | 2007
Micha Brumlik
„So sind die Unterschichten“ vermutet der jungkonservative Historiker Paul Nolte „in den letzten drei Jahrzehnten, seit dem Knick der boomenden Nachkriegsokonomie und des Fortschrittbewusstseins in der ersten Olkrise, nicht verschwunden, sondern haben sich teils wieder vergrosert, vor allem aber ihrer Zusammensetzung, ihrer Herkunft, ihrer Kultur nach gewandelt. Die fruhere Unterscheidung“ erlautert Nolte weiter „zwischen „working poor“ und Fursorgeklasse ist poros geworden, der letztgenannte Bereich ist gewachsen und verbindet sich mit den Resten des ersten, also desjenigen Teils der Arbeiterklasse, die den Aufstieg in relative materielle Sekuritat einschlieslich eines Bildungsminimums nicht geschafft hat“ (Nolte 2004: 61). Eine starke Metapher beschliest Schilderung und Analyse: der Autor sieht die neuen Unterschichten als „jenen charakteristischen Raum in den zerklufteten Talern der Erwerbsgesellschaft fullen, der sich in der Krise der familiensichernden Vollzeitarbeit herausgebildet hat: zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit, zwischen Teilzeitarbeit und Sozialhilfe, zwischen Schwarzarbeit und frustriertem Totalruckzug, auch: zwischen volliger Entpolitisierung und Anfalligkeit fur den Populismus“ (Nolte 2004: 61)
Archive | 2006
Micha Brumlik
Pierre Bourdieu und seine Mitarbeiter haben ihre Studien zum „Elend der Welt“ Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahre abgeschlossen — ihre ebenso pointierten wie pointillistischen Portrats beschreiben eine Welt, die es auch in den Banlieues so nicht mehr gibt - die Sonden dieser Sozialforschung waren offenbar nicht fein genug, die von einer radikalislamistischen Ideologie mit verursachte Formation einer Immigrantenjugend zu prognostizieren, die ihre Wut auf die Verhaltnisse in den Jahren 2001–2004 in Rassismus, Brandanschlagen und Schandung von nicht muslimischen Gebetshausern auserte.1 Eine Ursache dieses prognostischen Versagens durfte nicht nur in der Vernachlassigung der Religion liegen, sondern auch in der grundbegrifflichen Vernachlassigung der emotionalen Basis sozialen Handelns - und das dem Umstand zum Trotz, dass paradoxerweise das Ressentiment in Bourdieus eigener Weltsicht eine erhebliche Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund sind auch gegenwartige Forderungen zu betrachten, die Studien zum „Elend der Welt“ fur Deutschland zu replizieren (vgl. Schultheis/Schulz 2005). Ich will im Folgenden die These belegen, dass es diese „Replikationsstudien“ fur Deutschland langst gibt - allerdings mit einer Stosrichtung und einer Perspektive, die jener Bourdieus genau entgegengesetzt ist. Dass dem derzeit wenig entgegenzusetzen ist, liegt daran, dass die Bourdieusche Perspektive keine brauchbaren padagogischen Implikationen hat, was wiederum an einem grundbegrifflichen Konstruktionsfehler, der Vernachlassigung der Emotionen liegt.
Archive | 2018
Micha Brumlik
Der Beitrag erinnert an Kant’s Weltburgerrecht, das Gebot der allgemeinen Gastfreundschaft, das das Abweisen eines Fremden verbietet, er erinnert an Hannah Arendt’s „Recht auf Rechte“ und charakterisiert im Kontrast hierzu die Fluchtlingspolitik der Europaischen Union als „schlicht gesetzeswidrig“. Gleichzeitig machen seine rechtsphilosophischen Vergewisserungen deutlich, dass es sich hierbei eben nicht nur um normative Appelle handelt, sondern um Grundprinzipien, angesichts derer die Nationalstaatlichkeit und ihre Verengungen kritisiert werden mussen.
Archive | 2014
Micha Brumlik
Der Beitragt verhandelt die Problematik von Fremdheit und Andersheit, von relativer und absoluter Differenz; er zeigt, dass Selbstverstandnisse, aber auch Fremdzuschreibungen von Kindern und Jugendlichen, von Schulerinnen und Schulern, und das, was sie sein wollen bzw. das, als was sie von anderen angesehen werden, im Zeit- und Sozialraum der Schule zwar sozial wirksam, interaktiv hergestellt wird, aber darum nicht minder wirklich ist. Im Beitrag wird gezeigt, dass im politischen Diskurs und in Alltagstheorien des Politischen ganzen Gruppen von Jugendlichen jedoch immer wieder eine „Fremdheit“ unterstellt wird, die dort unter dem pseudowissenschaftlichen Begriff der „Integrationsunwilligkeit“ firmiert und die die Lebenschancen dieser Jugendlichen massiv im Sinne einer „self-fulfilling prophecy“ beeintrachtigt.
Archive | 2013
Micha Brumlik
Die aktuellen Debatten um die Umsetzung des sogenannten Bolognaprozesses an den europaischen und deutschen Hochschulen, um Exzellenzcluster, Wettbewerbsfahigkeit und employability schlagen ein weiteres Kapitel in der Jahrhunderte alten Auseinandersetzung um Sinn und Zweck von Institutionen hoherer Bildung auf. Sie fand in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt vor etwa dreisig Jahren statt, als es im Rahmen der sogenannten „Finalisierungsdebatte“ um die gesellschaftspolitische Frage ging, ob und in welchem Ausmas die Wissenschaften ihr Tun gesellschaftspolitisch zu verantworten hatten – so, dass ihre Ergebnisse einen nachprufbaren Beitrag zur Behebung der Miserabilitat menschlicher Verhaltnisse liefern konnten. Diese damals von „links“ angeregte und von konservativer Seite wutend bestrittene Debatte wurde Mitte der 1990er Jahre mit politisch entgegengesetztem Vorzeichen, diesmal von „rechts“ wieder aufgenommen – seither geht es weniger um die direkte Verantwortung der Wissenschaften fur die Verbesserung menschlicher Lebensverhaltnisse als um die Frage ihrer eigenen Wirtschaftlichkeit und ihres Beitrages fur die Wirtschaft.
Archive | 2012
Micha Brumlik
In seinen politisch-biographischen Reflexionen zu den Jahren des Umbruchs, dem „Tagebuch einer Schnecke“ berichtet Gunter Grass von einem makabren Vorfall auf dem damals – 1967 – stattfindenden Stuttgarter Kirchentag, bei dem ein alterer Mann sich nach einer Podiumsdiskussion in einer uberfullten Halle am Mikrofon zu Wort meldete, dies und das auserte, schlieslich einen letzten Grus an die Kameraden von der SS entbot, um endlich vor allem Anwesenden ein kleine Flasche mit Zyankali aus dem Rock zu ziehen, ihren Inhalt zu trinken und sofort tot zu Boden zu sturzen. Die Redakteurin der links-alternativen Tageszeitung taz, Ute Scheub, hat Jahre spater in einem erschutternden Erinnerungsbuch ihr Verhaltnis zu diesem, ihrem Vater geschildert (Scheub 2006).
Archive | 2011
Micha Brumlik
Begriff, Theorie und Praxis einer gegen rigides Strafen und Triebunterdruckung angehenden antiautoritaren Erziehung waren seit ihrem Entstehen konservativen bis reaktionaren Einwanden ausgesetzt – etwa durch die Thesen des Bonner Forums „Mut zur Erziehung“ aus dem Jahr 1978. Die damals gestellten und diskutierten Fragen nach dem Verhaltnis von Padagogik, Autoritat und Disziplin sollten freilich mit den Bonner Thesen und den auf sie folgenden Erwiderungen keineswegs ein fur allemal erledigt sein, sondern dreisig Jahre spater noch einmal aufbrechen – zuletzt anhand der seit zwei Jahren gefuhrten Debatte um Bernhard Buebs Pamphlet „Mut zur Disziplin“ (2006). Nicht zuletzt dieses Pamphlets wegen hat sich auch die wissenschaftliche Padagogik des Themas zum ersten Mal seit dreisig Jahren wieder grundsatzlich angenommen und es in ihren Zeitschriften grundlich erortert (vgl. Clausen 2007; Sunker 2007). So ist etwa im Ruckgriff auf die von Bueb reklamierte reformpadagogische Tradition, unter Bezug auf Siegfried Bernfeld und Janusz Korczak der Nachweis gelungen, dass Buebs Begriff der Disziplin in auserster, undifferenzierter Schlichtheit letztlich nur das umfasst, was man als „militarische Disziplin“ bezeichnen konnte: unbefragter Gehorsam gegenuber prazise umrissenen Befehlen (vgl. Wyrobnik 2007: 156 ff). Der Begriff der militarischen Disziplin impliziert jedoch deren Erzwingbarkeit und das heist – nicht nur im ausersten Falle – der Androhung oder wirklichen Zufugung von Ubeln an Personen, die sich den Befehlen verweigern. Eine Padagogik der Disziplin wird daher mit einer gewissen Notwendigkeit auch die Thematik des Strafens wieder aufnehmen mussen. Nicht zuletzt hat der schlieslich gescheiterte Wahlkampf des hessischen Ministerprasidenten Roland Koch, in dem er den Uberfall zweier Schlager auf einen alten Mann in der Munchner U-Bahn zu einer radikal populistischen Demagogie nutzte, das Thema weiter verbreitet (vgl. Brumlik 2008). Freilich kam – anders als erwartet – die Forderung nach einem verscharften Jugendstrafrecht und gar der Anwendung des Jugendstrafrechts auf delinquente Kinder bei der Wahlerschaft nicht an, sondern kostete sogar Stimmen. Und allen Versprechungen zum Trotz, die Thematik auch nach dem Wahlkampf ernsthaft weiter zu verfolgen, wurde sie seither totgeschwiegen – dem Amoklauf von Winnenden zum Trotz.
Archive | 2008
Micha Brumlik; Hauke Brunkhorst
Seit Beginn seines akademischen Wirkens ist es Hans-Uwe Otto, damals noch in der alten Bundesrepublik Deutschland, durch unermudlichen professionspolitischen Einsatz — stets getragen von einem unbeugsamen Ethos universaler Gerechtigkeit — gelungen, die faktisch nur reagierenden und letztlich von einem bloβ karitativen Bewusstsein getragenen sozialen Sicherungssysteme erst der alten Bundesrepublik, dann des neu — vereinten Deutschland, endlich des sich einigenden Europas und schlieβlich einer sich durch die Mechanismen der Globalisierung vernetzenden Weltgesellschaft nicht nur theoretisch auf die Hohe ihrer Zeit zu bringen. Im scharfen Bewusstsein dafur, dass Anderungen zum Besseren, zu wesentlichen Reformen, zunachst und auch zuletzt von Menschen, die von ihnen uberzeugt sind, durchgesetzt werden mussen, hat er mit Geduld und Energie eine uber Jahrzehnte wahrende, systematisch begrundete und strategisch angelegte Bildungsoffensive im Medium der Professionspolitik eroffnet, die bei ihren Adressatinnen ein hohes Gerechtigkeitsethos sowie hochste professionelle Kompetenz provoziert haben.
Archive | 2006
Micha Brumlik
Im Oktober 2001 berichtete die Wissenschaftsseite einer grosen deutschen Tageszeitung uber ein Symposion an der Universitat Kiel zur griechischen Vasenmalerei. Die Archaologin Lesley Beaumont aus Sidney hatte sich dort mit der politischen Entwicklung der Polis und den Veranderungen der griechischen Familie seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert befasst: „Mit der Einfuhrung der Demokratie“, so der Bericht, „wird die Familie zur Keimzelle der Polis. Das Kind ist nicht langer ein kleiner Erwachsener. Sein Korper wirkt unbeholfen und rundlich. Zwischen Vater und Mutter robbt es auf einer Pelike (um 440 v. Chr.) am Boden. Ein anderes Mal — auf einer kleinen Schale — sitzt es im Kinderstuhlchen, die Arme nach der Mutter ausgestreckt“ (Erche 2001).
Archive | 1993
Micha Brumlik; Hauke Brunkhorst; Karl-Otto Apel