Friedrich H. Tenbruck
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Featured researches published by Friedrich H. Tenbruck.
Sozialer Wandel in Westeuropa: Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages in Berlin 1979 | 2014
Friedrich H. Tenbruck
Der folgende Artikel eroffnete 1979 das der „Kultursoziologie“ gewidmete Heft 3 (Jahrgang XXXI) der Kolner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie. Er wollte keine neue Spezialsoziologie grunden, sondern vor der durchgangigen Verengung des Faches auf die „Strukturen“ der Gesellschaft warnen. Sein Wiederabdruck verlangt um so mehr eine Vorbemerkung, als er nun italienischen Kollegen in Ubersetzung zuganglich wird und so der gemeinsamen Besinnung auf Lage und Aufgabe des Faches dienen kann.
American Sociological Review | 1964
Friedrich H. Tenbruck; Clemens Albrecht; Wilfried Dreyer; Harald Homann
„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ — das ist der Satz, mit dem die modernen Diktatoren und Mochtegern-Diktatoren naiv einen Zynismus bekunden, fur den die menschlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten zu Fragen des Machtkampfes und der Schulung eingefroren sind. Ein erschreckender Satz also, und doch eine bittere Wahrheit, der man nicht ausweichen kann! Denn so sicher wie nach dreisig Jahren eine neue Generation bestimmt, was eine Gesellschaft in ihrem organisierten und nichtorganisierten Dasein ist, so sicher hat die Zukunft, wer die Jugend hat. Wohl dem Volk, in dem sich nicht die Verblendung regt, das die Jugend ein Objekt fur den mit irgendwelchen Zielen gerechtfertigten Zugriff des Habens sein konne. Aber auch dieses Volk wird in einer Generation durch seine Jugend reprasentiert sein. Der Jugend fallt die Zukunft immer und automatisch zu. Insofern ist das eine Trivialitat. Doch in ihr steckt eine Tatsache, deren Einfachheit nur von ihrer Bedeutung ubertroffen werden kann: das die Zukunft irgendeiner menschlichen Fahigkeit, des kulturellen Besitzes und der inneren Daseinsmoglichkeiten, das uberhaupt die Zukunft eines Volkes wie der Volker immer nur das sein kann, was eine Jugend in diese Zukunft hineinzutragen vermag. Menschliches Dasein ist das in der Kette der Generationen fortgereichte Erbe, von dem verloren ist, was nur ein Glied der Kette nicht weiterreicht. Insofern verkurzt oder erweitert jede Generation den Umkreis des Daseins nicht nur fur sich selbst, sondern auch fur diejenigen, die nach ihr folgen. Das ist der unsichere Grund, auf dem alles Dasein eh und je gestanden hat und stehen wird, hart am Abgrund des Kulturverlustes, dessen Eintritt nicht einmal bemerkt zu werden pflegt, weil sich mit dem Schwund der Daseinsmoglichkeiten auch das Unterscheidungsvermogen verliert. Die Jugend ist der Filter, durch den die Kultur einer Gesellschaft standig passieren mus, und sie ist deshalb auch eine geschichtliche Drehscheibe, auf der die Zukunft einer Gesellschaft neu eingestellt wird.
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie | 1996
Friedrich H. Tenbruck; Clemens Albrecht; Wilfried Dreyer; Harald Homann
1972 veroffentlichte ich im Sonderheft 16 dieser Zeitschrift, das dem Thema „Soziologie und Sozialgeschichte“ gewidmet war, meinen Beitrag „Die Soziologie vor der Geschichte“. Damit ging es mir wie mit manchen anderen Arbeiten. Ich wollte ein grundsatzliches Problem anmahnen, das vom Fach seit jeher verdrangt worden war, namlich die Geschichte oder besser: ihren standigen Einschlag in die gesellschaftliche Wirklichkeit, die einzig in Gestalt einmalig-besonderer Lagen und Vorgange konkret existiert. Darauf hinzuweisen schien mir damals hochst notig, weil sich das Fach in seinen sturmischen Entwicklungen und Parteiungen uber alle Fronten hinweg immer entschiedener zu der Auffassung bekannte, die gesellschaftliche Wirklichkeit sei aus generellen Regelmasigkeiten zu ermitteln, worauf ja auch die neue Begeisterung fur die Sozialgeschichte schlieslich hinauslief.
Archive | 1979
Friedrich H. Tenbruck
Nicht von ungefahr hatte man im In- und Ausland vom Wiederbeginn der deutschen Soziologie eine Ruckbesinnung auf ihr eigenes Erbe erhofft. Welche anderen Ressourcen hatten ihr denn auch zu Gebote stehen konnen? Und welch besseres Kapital hatte sie sich wunschen durfen? Zwar fehlte in der sowjetischen Besatzungszone die Freiheit, uber dieses Erbe zu verfugen, weil der Marxismus zur bindenden Staatssoziologie erhoben wurde. Aber in den westlichen Besatzungszonen durfte das Fach doch mit dem Wohlwollen der Militarregierungen rechnen, deren Kulturpolitik freilich im ubrigen ihren jeweiligen nationalen Bildungstraditionen verpflichtet blieb. Nur bei der amerikanischen Militarregierung, der die Sozialwissenschaft als ein unerlaslicher Bestandteil eines demokratischen Gemeinwesens galt, ging das allgemeine Wohlwollen in aktive Forderung uber. Die Einrichtung eines UNESCO-Instituts fur Soziologie, die Unterstutzung des Frankfurter Instituts fur Sozialforschung, die Errichtung einer internationalen Hochschule fur Padagogische Forschung waren sichtbare Zeichen dieser amerikanischen Politik, die mit manchen anderen Mitteln und Masnahmen betrieben und nicht zuletzt mit dem Fulbright-Austausch fortgesetzt wurde. Gewis sollte dieses Programm mit der amerikanischen Sozialwissenschaft, vor allem mit ihrer Empirie vertraut machen, war auch mit mancherlei Skepsis gegenuber einer allzu philosophischen, allzu geisteswissenschaftlichen, allzu unpolitischen Tradition der deutschen Sozialwissenschaft durchsetzt; aber man empfand doch genugend Achtung vor der klassischen Tradition der deutschen Soziologie, sah sich vielfach auch selbst als deren Erben, um ihren Wiederbeginn nicht auch als ihre Ruckbesinnung zu verstehen.
Archive | 1989
Friedrich H. Tenbruck
Die Wurzeln sozialwissenschaftlich-soziologischen Denkens reichen bis in jene Zeit zuruck, als die westeuropaischen Lander die Reste der mittelalterlichen Ordnung abzustreifen und die Unruhe einer neuen Ordnung wahrzunehmen begannen. Mit dem Bewustsein, eine historische Wegmarke zu uberschreiten, verband sich umso mehr das Bedurfnis, die sich neu formierende Gesellschaft zu verstehen, als klar war, das es sich bei ihr um eine dynamische Ordnung handelte, deren vielfaltige Veranderungen in eine offene Zukunft weiterzulaufen schienen.
Archive | 1975
Friedrich H. Tenbruck
Seit sich die Soziologie ihre Selbstandigkeit mittels des Nachweises der Allgegenwart sozialer Strukturen erkampft hat, pflegen ihre Analysen an eben diesen institutionellen Tatsachen anzusetzen. Aus dem charakteristischen Zugang wird leicht eine deformation professionelle, wenn die Strukturen als die wesentliche Wirklichkeit gelten, auf deren Analyse die Soziologie beschrankt wird. In eine solche Verengung hat sich auch die Soziologie der Wissenschaft hineinmanovriert mit der Folge, das sie sich nun schwer tut, Boden unter die Fuse zu bekommen, und wesentliche Dimensionen der Problematik der Wissenschaft nicht mehr sehen kann. Will man die Disziplin aus dieser Lage befreien, so mus man notgedrungen von Dingen reden, die so fremd, dunkel und unbekannt geworden sind wie die Ruckseite des Mondes.
Archive | 1972
Friedrich H. Tenbruck
Der Komplex von Geschichte und Gesellschaft befindet sich seit rund 200 Jahren in der Diskussion. Anfangs von Historikern, Philosophen und anderen Geisteswissenschaftlern in lockerer Form — d. h. ohne scharfe Abgrenzung der Gegenstande und Zustandigkeiten — gefuhrt, nahm das Gesprach strengere Zuge an, als es vor rund 100 Jahren an die Vertreter der nunmehr zustandigen Facher Historie und Soziologie als die eigentlichen Protagonisten uberging: die gegenstandlichen Aussagen wurden von den methodologischen Perspektiven uberlagert, und die Sachfragen wurden in der Kontroverse zwischen zwei Fachern schnell auf ihre theoretischen Nenner verallgemeinert. Seither ist die Problematik des Verhaltnisses von Gesellschaft und Geschichte durch eine Reihe bekannter Fragen methodologischer und theoretischer Natur abgesteckt, auf die jede erneute Diskussion unweigerlich zuruckfuhrt.
Archive | 1997
Friedrich H. Tenbruck
In fruheren Jahrzehnten entstanden, wurde das Werk Max Webers erst offentlich sichtbar, als postum „Wirtschaft und Gesellschaft“neben den verschiedenen Aufsatzsammlungen im Druck erschien. Seither gibt es eine Weber-Interpretation, die inzwischen ihre eigene Geschichte hat. Die Beschaftigung mit seinem Werk begann sogleich in Deutschland, fand dann im Ausland (mit Benedetto Croce, Raymond Aron, Hisako Otsuka, Theodore Abel, Frank H. Knight u. a.) erste Vermittler, wurde durch die deutsche Emigration (v. a. Hans H. Gerth, Albert Salomon, Reinhard Bendix) gefordert, ging mit Talcott Parsons ins Repertoire der amerikanischen Soziologie ein, wanderte mit dieser um die Welt und steigerte sich noch zu der bekannten Weber-Renaissance des letzten Jahrzehnts. Der ausere Erfolg des Werks ist so uberwaltigend, das Lawrence A. Scaff jungst kurzerhand feststellte: „Whoever controls the interpretation of Weber, can entertain hopes of also governing scientific activity1.“
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft | 1989
Friedrich H. Tenbruck
Wie bereits in der Einleitung gezeigt, lag der Moderne eine neue Verfastheit von Gesellschaft und Kultur zugrunde. Das 19. Jahrhundert hat denn auch immer wieder versucht, diese neue Wirklichkeit durch den Unterschied zur Vergangenheit in idealtypischen Dichotomien (Gemeinschaft/Gesellschaft, Status/Kontrakt, mechanische/organische Solidaritat) zu bestimmen. Wo man sich dabei wie Emile Durkheim (Kapitel 9) auf das Konzept einer „Wissenschaft von der Gesellschaft“ verlegte, da muste der Ubergang von einem Typ zum anderen als das Ergebnis anonymer Gesetzmasigkeiten erklart werden, die dem sinnhaften Handeln der Menschen wenig Raum liesen. Demgegenuber sei hier daran erinnert, das wir historisch immer nur eine Vielzahl von Vergesellschaftungen und Vergemeinschaftungen vorfinden, die sich kreuzen und uberschneiden. So beruht denn auch die moderne Gesellschaft darauf, das die Menschen sich in einer neuen Weise zu vergesellschaften begannen, oder genauer: das nun gewisse Vergesellschaftungen zur Regel wurden. Das Stichwort hierfur lautet: „Vereinswesen“, aus dem die moderne Gesellschaft hervorgegangen ist. Dies soll im folgenden naher dargestellt werden, verlangt aber vorab einige Abgrenzungen zur gangigen soziologischen Begriffsbildung.
Archive | 1989
Friedrich H. Tenbruck
Wir leben in einer Zeit, die randvoll mit Problemen ist. Und umstellt von Problemen, leben wir mit der Frage, wie wir, ja ob wir mit ihnen fertig werden konnen. Burger und Offentlichkeit nehmen dadurch teil an den ins Gigantische gewachsenen gesellschaftlichen Anstrengungen. Denn die moderne Gesellschaft ist ja vor allem zu einer ungeheuren Veranstaltung zur Losung ihrer Probleme geworden, wie sich das schon an dem standigen Wachstum ihrer Apparate ablesen last, die ausgebaut werden mussen, um mit den Problemen Schritt zu halten. Massenaufgebote von Menschen sind berufsmasig damit betraut, die Probleme zu ordnen, zu sichten und zu durchdringen, um Losungen zu entdecken und auszufuhren. Die riesigen Netze von Regierung, Parlament und Parteien, die alles erfassenden und umfassenden Apparate der Verwaltung sind nur die sinnfalligsten und machtigsten Erscheinungen dieser Organisation der Gesellschaft zur Losung ihrer Probleme. Steigend eingeschaltet in diese Aufgaben ist auch die Wissenschaft.