Matthias N. Lorenz
University of Bern
Network
Latest external collaboration on country level. Dive into details by clicking on the dots.
Publication
Featured researches published by Matthias N. Lorenz.
Archive | 2007
Matthias N. Lorenz
Rainer Werner Fassbinder schreibt am 28. Marz 1976 aus Paris einen offenen Brief, um sich gegen den Vorwurf, sein Stuck „Der Mull, die Stadt und der Tod“ sei ein antisemitischer Text, zu wehren. Er deutet an, dass sich die Stadtoberen von Frankfurt judischer Makler und Spekulanten bedienten, um die schmutzige Arbeit der Umstrukturierung des Stadtteils Westend gegen den Willen seiner Bewohner an jene zu delegieren, die als Opfer auserhalb des Kollektivs stunden — Fassbinder vergleicht dies mit der Ubertragung von „Geldgeschaften“ an die Juden im 18. Jahrhundert. Er fahrt fort: Zu betrachten waren die Beweggrunde derjenigen, die sich dagegen wehren, das uber diesen Sachverhalt gesprochen wird. Sie sind die wahren Antisemiten. Zu prufen ware, warum man, statt die realen Sachverhalte zu untersuchen, gegen den Autor eines Stuckes argumentiert, die er — um bestimmte Zustande kritisierbar zu machen — fur seine Figuren erfunden hat.1 In einem Interview, das kurz darauf erscheint, bekraftigt der Autor, dass er gegen Sprechverbote aufbegehrt, deren Begrundung eigentlich vorgeschoben sei und die „realen Sachverhalte“, wie er es nennt, verschleiere. Das Stuck sei eine „Reaktion auf eine Wirklichkeit“, namlich „die standige Tabuisierung von Juden, die es seit 1945 in Deutschland gibt“2, und die nun in Frankfurt instrumentalisiert werde: Juden seien willfahrige Werkzeuge bei der Entvolkerung eines Wohngebiets zugunsten der Errichtung von Bankenhochhausern. Fassbinder macht fur sich geltend, das Problem beim Namen nennen zu durfen:
Archive | 2017
Matthias N. Lorenz
Wie die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte von Heart of Darkness gezeigt hat, entsteht kein Text aus dem Nichts. Gerade Conrads Klassiker verdankt sich verschiedenster Einflusse aus eigenen und fremden Werken, personlichem Erleben, privaten Korrespondenzen ebenso wie Medien- und Reiseberichten; hinzu kommen naturwissenschaftliche und politische Wissensbestande der Zeit, kulturhistorische Einflusse und zeitgenossische Vorbildfiguren.
Archive | 2017
Matthias N. Lorenz
In Conrads Werk gibt es fiktionale, essayistische und briefliche Einlassungen zum Deutschen, etwa deutsche oder deutschstammige Figuren sowie Reflexionen uber die Rolle des Deutschen Reichs in Europa. Diese Bezuge sind jedoch sehr sporadisch und knapp. Bereits 1963 erschien ein entsprechend kurzer Artikel von Paul Wohlfarth in German Life & Letters, der sich des Themas »Joseph Conrad and Germany« annahm. Wohlfarth versucht eine Rettung von Conrads Verhaltnis zu Deutschland und verteidigt sein Thema engagiert gegen die antideutschen Auserungen des Autors. So fuhrt er – angesichts von korperlich wie moralisch so widerwartigen Hassfiguren wie etwa dem deutschen Kapitan der »Patna« in Lord Jim, der auch eine Bismarck-Karikatur ist, – Beispiele von deutschen Figuren an, die nicht nur schlecht seien.
Archive | 2017
Matthias N. Lorenz
Es gibt wohl nur wenige literarische Texte, uber die so viel und anhaltend geforscht wurde und wird wie uber Heart of Darkness. Von den Zeitgenossen begrust als »intensely modern«, »the high-water mark of English fiction« und »psychological masterpiece« vom Range eines Dostojewski und Flaubert, zahlt Joseph Conrads um die Jahreswende 1898/99 entstandener Roman seither zu den »half-dozen greatest short novels in the English language«, gilt als »perhaps the most commonly prescribed novel in twentieth-century literature courses in English Departments of American universities« und »probably the most widely reprinted short novel in English«.
Archive | 2017
Matthias N. Lorenz
Anthony Fothergills oben zitierte Erklarung fur die rasche Durchsetzung Conrads ab dem Zeitpunkt der deutschsprachigen Fischer-Ausgabe lasst sich auch uber die von Fothergill fokussierte »culture in crisis« der Weimarer und NS-Zeit hinaus verfolgen und anhand der literarischen Rezeptionsgeschichte von Heart of Darkness verengen, zuspitzen und prazisieren. Die Themen der Gegenwartsliteratur etwa, zu der die meisten der deutschsprachigen Posttexte zu rechnen sind, sind andere als die in der substantiellen Krise der Weimarer Republik.
Angermion | 2016
Matthias N. Lorenz
Als das Werk des damals bereits international als Weltautor geltenden Joseph Conrad ab 1926 erstmals in einer seiner Bedeutung angemessenen Werkausgabe in deutscher Sprache bei S. Fischer erscheint, steuert Thomas Mann das Vorwort für den Roman Der Geheimagent bei.1 Der seinerzeit weltberühmte Jakob Wassermann, ebenfalls ein Aushängeschild des Verlages, bevorwortet parallel Conrads Roman Die Schattenlinie.2 Conrad soll, und zwar von Beginn an, als Weltautor eingeführt werden, gleichrangig mit den ihm zur Seite gestellten Hausautoren. Der Verlag annonciert die Ausgabe wie folgt:
Archive | 2015
Matthias N. Lorenz
The following paper considers Joseph Conrad’s standing vis-a-vis the Germans as well as the reception of his works in the German-speaking area. The analysis focuses on the German policies of publication and the nature of germanophone reviews, research interests, and translation practices – accounting for relevant socio- and cultural-historical contexts. The study attempts to demonstrate the exemplary quality featured by the German appropriation of Conrad’s canonical short novel Heart of Darkness.
Internationales Archiv Fur Sozialgeschichte Der Deutschen Literatur | 2015
Matthias N. Lorenz
The following paper considers Joseph Conrad’s standing vis-a-vis the Germans as well as the reception of his works in the German-speaking area. The analysis focuses on the German policies of publication and the nature of germanophone reviews, research interests, and translation practices – accounting for relevant socio- and cultural-historical contexts. The study attempts to demonstrate the exemplary quality featured by the German appropriation of Conrad’s canonical short novel Heart of Darkness.
Zeitschrift für interkulturelle Germanistik | 2011
Matthias N. Lorenz
Today, few people have ever heard of Otto Ehrenfried Ehlers, but at the end of the 19th century he was one of the most commercially successful German travel writers. He was constantly searching for adventure, only to find again and again that the age of exploration and colonial expansion was over. When Ehlers went to Samoa in 1894 he hoped to witness a complete German take-over of Samoa, which however was prevented by Bismarck. Racist views appear in all travel literature of the period, and in Samoa, as elsewhere, there was a clear division between indigenous peoples and Europeans. Ehlers did not employ the prevailing racist diction in his writings, but his attitude remains ambivalent. He stresses that the Samoans should be left as they are, not made to work, or »civilised«. Seeing Samoans dressed and behaving in an European fashion, upsets Ehlers, because they no longer appear genuine to him. Ehlers’ idea of the Samoan »paradise« owes much to Rousseau and his notion of the »noble savage«. Hybridisation, he believes, leads to downfall and ruin. The paradise will lose its basis in community. It’s no surprise, that its antipode – society – finally appears as a Jew. Referring to this, he discusses a complex range of purity and hybridity, regarding topography, economy and humans (especially women). Ehlers focuses on four kinds of hybridisation: hybridisation on a social level, of the sexes, of the culture, of the economy. Der heute fast vergessene Weltreisende Otto Ehrenfried Ehlers (1855–1895) war zu seiner Zeit ein Phänomen: Seine Bücher über Indien (1894), Indo-China (1894), Samoa (1895) und Ostasien (1896) erschienen geballt in einem Zeitraum von nur drei Jahren, letztere zu einem Zeitpunkt, als Ehlers bereits vermisst und tot war – ein Umstand, der ihre Popularität noch steigerte.1 Der Tod dieses kosmopolitischen Flaneurs und solventen Dandy-Reisenden ist dann auch 1 | An indischen Fürstenhöfen. 2 Bde. Berlin 1894 (drei Aufl. allein im Erscheinungsjahr); Im Sattel durch Indochina. 2 Bde. Berlin 1894 (1901 bereits in 6. Aufl.); Samoa. Die Perle der Südsee. Berlin 1895 (zwei Aufl. im Erscheinungsjahr); Im Osten Asiens. Berlin 1896 (drei Aufl. im Erscheinungsjahr). 78 | MATTHIAS N. LORENZ ebenso skurril wie bezeichnend für Ehlers’ Zugriff auf die Fremde insgesamt: Als jemand, der stets auf der Suche nach Abenteuern und Zerstreuung unterwegs ist, muss er immer wieder feststellen, dass er zu spät kommt. Der Erdball ist am Ende des 19. Jahrhunderts längst entdeckt, vermessen, unter den Kolonialmächten aufgeteilt und wirtschaftlich erschlossen. Daher rüstet Ehlers, der berg steigerische Laie aus Hamburg, als er 1888 vom Plan der Erst besteigung des Kilimand scharo erfährt, sofort eine 80-köpfige Expedition aus, mit der er allen anderen zuvorkommen will – und die erwartungsgemäß scheitert. 1889 zerstreut Ehlers sich, indem er als selbsternannter Emissär zwischen einem afrika nischen Häuptling namens Mandara und Kaiser Wilhelm II. fungiert und Geschenke vom einen zum anderen bringt und retour. 1890 bereist er Indien, eine Erfahrung, die in die o.g. Publikationsflut des Jahres 1894 mündet. 1893 nach Berlin zurückgekehrt, be schäftigte er sich mit der Frage der Zähmung des afrikanischen Elefanten, wußte dafür auch Colonialfreunde zu interes sieren und Mittel zu gewinnen. Zu Vorstudien begab er sich neuerdings nach Indien und in das Brahmaputragebiet. (ADB 1904, 282) Von dort reist er 1894 jedoch bereits nach wenigen Wochen Aufenthalt nach Samoa ab, weil er sich erhofft, die aktuelle Krise zwischen den Kolonialmächten Deutschland, England und den USA, die die Zeitungsspalten füllte, würde zu einer deutschen Inbesitznahme Samoas führen.2 Das Erlebnis der Landnahme ist Ehlers jedoch nicht vergönnt, Bismarck pfeift seine Diplomaten zurück und hält eisern am Tridominium, der gemeinsamen Verwaltung Samoas durch die drei Groß mächte, fest.3 Und so bricht Ehlers 1895 erneut Hals über Kopf auf, als er in Samoa hört, es sei noch niemandem gelungen, Neuguinea von Nord nach Süd zu durchqueren – ohne jedes Wissen über die Verhältnisse vor Ort, ohne Kompass und mit viel zu wenig Nahrung. Nur ein Teil seiner einheimischen Träger kommt schließlich ausgemergelt auf der Südseite an, ohne Ehlers und den einzigen anderen weißen Expeditions teilnehmer, Polizeimeister Wilhelm Piering. Sie sollen Opfer von Hungerkannibalismus geworden sein.4 Ein Phänomen stellt Ehlers jedoch auch als Reiseschriftsteller dar, ist sein wirk mächtiges Samoa-Buch, das Anteil an einer regelrechten Samoa-Begeiste2 | Vgl. Ehlers 2008, 9 u. 56f. Die Originalausgabe von 1895 findet sich im Internet unter http://books2ebooks.eu/media/ebooks/UBI07A001350_chapter1.pdf [15.05.2011]. 3 | Vgl. hierzu Giesen 1984 (Bismarck war wenig er freut von den nationalistischen Bestrebungen seiner Konsuln auf Samoa und sprach bald nurmehr von deren Flaggenhissungen, Memoranden und Alleingängen als Ausdruck eines »morbus consularis«, vgl. ebd., 198 u. 213.) 4 | Vgl. hierzu das Nachwort der bibliophilen Neuausgabe von Ehlers’ »Samoa«: Hiery 2008, 149–187, sowie den Beitrag zum Phänomen des »Kannibalismus in DeutschNeuguinea« von Haberberger 2002, 312–321. OTTO E. EHLERS’ REISEBERICHT ÜBER SAMOA VON 1895 | 79 rung im Reich hatte,5 doch nicht nur eine kuriose und kurzweilige Lektüre: Es entspricht auch kaum der gängigen rassistischen Diktion des Kolonialdiskurses der Kaiser zeit. Das vulgäre Herren menschen tum der Deutschen in Afrika findet sich zwar allge mein nicht in den Reise berichten aus Samoa,6 wohl aber gab es auch in dieser »Vor zeige kolonie«7 des zweiten Kaiserreiches eine deutlich rassistische Trennung zwischen »Eingeborenen« und Euro päern. Diskurse etwa in der deutschen Samoanischen Zeitung (1900–1914) über die stets drohende Gefahr der »Verkanakerung« der Weißen und den Status der »Mischlinge«, die in Listen verzeichnet und von Europäern wie Samoanern gleichermaßen als inferior angesehen wurden, verdeutlichen plastisch, dass volle staatsbürger liche Rechte nur genoss, wer zur europäischen Minderheit gezählt wurde.8 Deren Überlegenheit wird von keinem Reiseschrifteller des frühen 20. Jahrhunderts ange zweifelt. Ehlers zeigt in seinem Buch aber immerhin ein durchaus klares Bewusstsein davon, dass der europäische Kolo nialis mus trotz aller »Schutzmacht«-Beteuerungen und »Zivilisierungs«-Anstrengungen in erster Linie die wirt schaft liche Ausbeutung der Kolonien bedeutet.9 In der für ihn typischen ironischen Diktion schreibt er: 5 | Vgl. Hiery 2008. 6 | Vgl. DiPaola 2004, 49–52 u. 155–158. – Ehlers selbst weiß von den Vorgängen etwa in Kamerun, wo »mit Nilpferdpeitschen [...] die guten Formen verletzt worden seien« (Ehlers 2008, 87). Der Historiker Thomas Morlang hat jüngst eine vergessene deutsche ›Strafexpedition‹ auf den Karolinen aufgearbeitet, die – eher untypisch für die ›Deutsche Südsee‹ – dem unbedingten Unterwerfungswillen der Deutschen in Afrika und ihrer Politik der verbrannten Erde entsprach. Die Verantwortlichen waren denn auch Kolonialbeamte, die sich zuvor bereits einen zweifelhaften Ruf in Togo, Kamerun und Deutsch-Ostafrika erworben hatten; vgl. Morlang 2010. 7 | Im Reichstag wurde Samoa etwa von dem Christsozialen Friedrich Mumm als »Musterländle« bezeichnet, was von Seiten der SPD nicht unwidersprochen blieb (vgl. Samulski 2004, 329). Eine Idealisierung der friedlich verlaufenen 14 Jahre deutscher Kolonialherrschaft auf Samoa vor allem unter dem Gouverneur Wilhelm Solf (1900– 1911), wie sie etwa die Darstellung Horst Gründers (1995, 181–188) durchzieht, scheint jedenfalls unangebracht. So schrieb Solf 1908 in einer Denkschrif t: »Wenn Deutschland aber als Kolonialmacht unter eingeborenen Völkern niederer Rasse Er folg haben, wenn der einzelne Deutsche als Repräsentant dieser Macht sein Prestige als Weißer und als Herr nicht einbüßen will, dann muß Deutschland in seinem Ehrenkodex des Begrif f des Rassenstolzes und der Rassenreinheit aufnehmen.« (Zit. n. Samulski 2004, 342.) Dass etwa keine Bilder von körperlicher Züchtigung und Misshandlung aus der ›deutschen‹ Südsee existieren, sollte keineswegs Anlass »zu abenteuerlichen Behauptungen« in Richtung einer Idealisierung geben, so Hiery (2005, 9). 8 | Vgl. DiPaola 2004, 142–154. 9 | »[...] daß die Europäer hierherkommen, um möglichst viel Geld zu verdienen« (Ehlers 2008, 61), es daher auch beim Anwerben auswärtiger Arbeitskräfte »nicht ganz zwanglos« (ebd., 96) zugehe. 80 | MATTHIAS N. LORENZ Mir tun die Samoaner eigentlich leid. Die einzige Sache, die ihnen außer dem Essen, Trinken und Faullenzen Vergnügen macht, das Kriegsspiel, verbieten ihnen die Europäer, die im Lande doch von Rechts wegen ebenso wenig zu suchen wie zu sagen haben. Was würden wir alten Korpsstudenten davon denken, wenn die Feuerländer nach Deutschland kämen und sich’s in den Kopf setzen wollten, unseren Mensuren ein Ende
Archive | 2015
Torben Fischer; Matthias N. Lorenz