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Featured researches published by Hans-Ludwig Kröber.


Archive | 2009

Zusammenhänge zwischen psychischer Störung und Delinquenz

Hans-Ludwig Kröber

Die forensische Psychiatrie beruht auf der Unterstellung, dass es zwischen der bei manchen Rechtsbrechern feststellbaren psychischen Storung und ihrer Delinquenz einen ursachlichen Zusammenhang gibt. Diese Annahme ist geradezu vorurteilshaft verwurzelt, sodass es im Einzelfall mehr argumentativer Muhe bedarf, einen solchen Zusammenhang zu verneinen, als ihn zu unterstellen und entsprechend fur Strafmas und sonstige Rechtsfolgen wie eine Masregel zu berucksichtigen.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2012

Zusammen kämpfen, zusammen schlagen?

Hans-Ludwig Kröber

ZusammenfassungAnhand der Gewaltdelikte, die im öffentlichen Raum von Jugendlichen und Heranwachsenden begangen werden, wird die Frage diskutiert, in welchem Umfang Gewaltaktivität Ausdruck einer bereits fehllaufenden, gar pathologischen Persönlichkeitsentwicklung ist. Es wird die Gegenfrage gestellt, ob es nicht eine notwendige Entwicklungsphase gerade von männlichen Kindern und Jugendlichen gibt, in der sie sich mit ihrer eigenen Gewaltfähigkeit intensiv befassen, auch im Hinblick auf ihr männliches Selbstkonzept, den Topos des Kriegers und des Helden, des prosozialen Gewalttäters. Mit Gewaltfähigkeit sind in dieser Zeit auch soziale Tugenden wie Gruppenfähigkeit, Verlässlichkeit, Stehvermögen, Mut und Tapferkeit (Angstüberwindung), Leistungsfähigkeit und Inkaufnahme von Nachteilen zugunsten der Gruppe eng verbunden. Die Analyse jedes Einzelfalles verlangt eine vorurteilslose Sichtung der Entwicklungskräfte eines Jugendlichen in einer krisenhaften Etappe.AbstractRegarding criminal offences by adolescents, the question is asked to what extent violent behavior is the expression of poor or even pathological personal development. Or in antithesis it is asked whether there may be a necessary delevopmental phase, particularly for male children and adolescents, during which they experiment with their own inherent capability and propensity for violence, which is linked to their male self-concept or the topos of knights and heroes, i.e. prosocial violence. During that time also connected with the capability of violence are social virtues such as cooperativeness, helpfulness, reliability, resilience, courage, bravery and productivity. Each individual case demands an unbiased view of the developmental capabilities and resources of the adolescent during a critical phase.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2015

Die Wahrheit der Person und die Wahrheit der Tat

Hans-Ludwig Kröber

ZusammenfassungDen Angeklagten schweigen zu lassen und entsprechend auch eine psychiatrische Exploration zu verweigern, ist eine zunehmend beliebte Verteidigungstaktik. Sie ist nachvollziehbar, wenn ein Freispruch erreichbar erscheint. Wenn allerdings ein Tatnachweis mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingen wird, beschädigt dieses Vorgehen den Angeklagten in seinen Möglichkeiten, seine Tat zu reflektieren und schließlich zu einem konstruktiven, prosozialen Umgang mit seiner Straffälligkeit zu kommen und den Weg sozialer Rehabilitation einzuschlagen. Der Beitrag verdeutlicht die Unverzichtbarkeit des Bemühens um Wahrheitsfindung und den Beitrag, den die psychiatrische Begutachtung dabei leisten kann.AbstractAn increasingly popular defence tactic is to allow the accused to remain silent and to correspondingly refuse a psychiatric exploration. This action is understandable if an acquittal seems to be possible; however, if it is highly probable that the accusation can be proven, this approach is damaging for the accused in the options to reflect on the crime and ultimately to come to a constructive prosocial way of coping with the delinquency and to adopt a way for social rehabilitation. This article emphasizes the indispensability of efforts to find out the truth and the contribution which can be made by a psychiatric assessment.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2013

Transparenz und Fairness in der Therapie von Sexualstraftätern in Haft und Maßregelvollzug

Hans-Ludwig Kröber

ZusammenfassungEs ist sinnvoll, Sexualstraftäter zu behandeln. Dies gelingt auch unter Bedingungen der Freiheitsentziehung. Es bestehen aber besondere Schwierigkeiten, die sich aus dem großen Machtgefälle und der Absonderung des Therapierten von normalen Lebensverhältnissen ergeben. Der Beitrag befasst sich vorrangig mit der Behandlung in Haftanstalten, sieht aber ähnliche Probleme, oft weniger ausgeprägt, bisweilen im psychiatrischen Maßregelvollzug. Der Beitrag skizziert den aktuellen Stand der Implementierung von Behandlungstechniken für Sexualstraftäter im Strafvollzug (insbesondere Sozialtherapie) und im Maßregelvollzug aus der Sicht des externen Gutachters, der Therapieverläufe, Therapieformen und Therapieerfolg im Hinblick auf das Rückfallrisiko und die Kriminalprognose beurteilen soll. Hingewiesen wird auf die Standards eines respektvollen, fördernden Umgangs mit dem Therapieklienten. Vor dem Hintergrund des „Good Lives Model“ hilft es, die positiven Ressourcen eines Verurteilten zu entwickeln. Dies erfordert auch eine erhöhte Bereitschaft von Therapeut und Team zur Transparenz (statt Verschwiegenheit) gegenüber dem Verurteilten hinsichtlich Einschätzung und Stand der Therapie. Kritisiert werden Tendenzen zu einem konfrontativen, tendenziell demütigenden Vorgehen, das die Selbstachtung des Klienten untergräbt statt stärkt und das enorme Machtgefälle zwischen Therapeut und Gefangenem unreflektiert ausnutzt.AbstractIt makes sense to treat sexual offenders in prison. Treatment can be successful even if coerced. However, particular difficulties arise due to the great power disparity between therapist and patient and the latter’s remoteness from normal living conditions. This report will describe the current status of treatment techniques/approaches for sexual offenders in prison (with particular regard to social therapy) and special forensic hospitals as viewed by an external reviewer judging the process, methods and success of treatment for preventing relapse and estimating criminal prognosis. We mention standards for a respectful and positive approach towards the patient client. With regard to the Good Lives Model, it is supportive to develop positive resources in the perpetrator. This also requires a heightened readiness from therapist and team for transparency (instead of confidentiality) towards the perpetrator as to the assessment of progress and status of therapy. We criticize tendencies for a confrontative, if not humiliating approach, which undermines the self-esteem of the client and exploits the power disparity between therapist and perpetrator.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2013

Haft- und Therapieerfahrungen der Berliner Sicherungsverwahrten

Hans-Ludwig Kröber; Anja Bauer; Julia Jenckel; Vera Schneider-Njepel

ZusammenfassungDie aktuelle Reform der Sicherungsverwahrung folgt rechtlichen Erfordernissen und leitet sich nicht primär vom Behandlungsbedarf Sicherungsverwahrter ab. Vor der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben ist daher ein Blick auf die Personen sinnvoll, die dieser veränderten Behandlung unterzogen werden sollen. Was sind die lebensgeschichtlichen und delinquenten Vorerfahrungen Sicherungsverwahrter, und wie oft und in welcher Weise hat man bereits versucht, sie zu therapieren und von ihrer Straffälligkeit abzubringen? Dieser Beitrag erläutert die aktuelle Lage im Umsetzungsprozess der neuen Gesetze zur Sicherungsverwahrung und beschreibt anhand einer Vollerhebung über sämtliche 76 Berliner Sicherungsverwahrte sowie 44 Sicherungsverwahrte außerhalb Berlins erste Ergebnisse dieser Untersuchung zu den delinquenten Kerndaten des Kollektivs.AbstractThe current reformation of preventive detention follows legal requirements and is not primarily derived from the treatment needs of inmates. Therefore, a fresh look at those persons who will be subjected to this new treatment is important before any legal provisions are put into practice. What are the individual life and delinquency experiences of inmates, how often, in which way and with which goal was treatment attempted? This article will expand on the current situation in the realization of the new legal standards and will describe first results on core delinquency data of a population study of 76 inmates with preventive detention in Berlin and 44 inmates in other federal states of Germany.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2013

Grenzen der Therapie

Hans-Ludwig Kröber

Strafe muss sein. Man kann zwar kunstvoll dagegen argumentieren, in friedlichen Horsalen fern jeder Gewaltdrohung. aber bereits dann, wenn man sich mit der Polizei in soziale Brennpunkte begibt, lernt man schnell, dass alles deeskalieren, Versohnen, Beruhigen, Beschwichtigen seine Grenzen hat, dass es bewaffnete Macht geben muss zur durchsetzung der elementaren sozialen regeln: korperliche Unversehrtheit, individuelle Freiheit, individueller Besitz. Bereits der anschein, solches liese sich nicht mehr durchsetzen, ware fatal; zum Schutze der rechtsordnung bedarf es der Strafe und des Strafvollzugs, vergeltend zum Schutz der Normgeltung und ebenso praventiv. im Sinne der „klassischen“ Strafrechtsschule war die Normgeltung mit dem Vollzug der schuldangemessenen Strafe wieder hergestellt; dem Strafvollzug kamen allenfalls aus allgemein-humanistischen oder religiosen Grunden aufgaben dergestalt zu, dass der tater zur Besinnung, reue und lauterung kommen moge. So wurde ihnen in manchen Strafanstalten ein Schweigegebot auferlegt und Kontakt zu Mitgefangenen systematisch unterbunden, damit sie sich auf sich selbst besinnen. Nach Strafverbusung war der Verurteilte ein freier Mann und konnte frei entscheiden, hinfort nicht mehr zu sundigen. den Vatern der „modernen“ Strafrechtslehre wie Franz von liszt verdanken wir den Gedanken, dass die Strafe v. a. praventiv wirken moge, was wiederum bedeutet, dass man auch den Strafvollzug nutzen konnte, um nicht nur durch Zufugung eines Ubels – des kargen lebens im Knast –, sondern durch einen Behandlungsvollzug auf ein verantwortliches leben in Freiheit vorzubereiten. dieser Gedanke ist frisch und lebendig seit 100 Jahren in der diskussion uber die durchfuhrung des Strafvollzugs; er hat einiges bewirkt in der Humanisierung des Strafvollzugs, weil man erkannt hat, dass rohe und entwurdigende Behandlung und Unterbringung rohe und entwurdigte Gefangene schafft. Man hat auch schon fruh uber weitergehende fordernde Masnahmen nachgedacht, eher im padagogischen Bereich: Beschulung, Berufsausbildung, Erwerb von Fertigkeiten, aber auch so etwas wie ein soziales Kompetenztraining. Psychisch kranke rechtsbrecher, das war klar, sollten in psychiatrischen Kliniken behandelt werden; aber man wollte nun auch – so die Uberlegungen in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – die sozial Schwachen, die dissozialen, die geprugelten und Heimkinder, die zu Straftatern geworden waren, sozialtherapeutisch fordern und ihnen helfen, ihre Sozialisationsdefizite und -narben zu uberwinden. dafur wurden die sozialtherapeutischen anstalten eingerichtet, nach langeren diskussionen nicht als eigenstandige, gerichtlich anzuordnende Masregel wie Psychiatrie oder Suchtklinik, sondern als eine spezielle option im rahmen des Strafvollzugs. inzwischen sind die oft ruckfalligen dissozialen Eigentumsund Gewaltdelinquenten aus den sozialtherapeutischen abteilungen weitgehend verdrangt zugunsten der Sexualstraftater, die ein anrecht auf Sozialtherapie besitzen, sowie von tatern mit schweren Gewalttaten. Und vor unseren augen vollzieht sich in diesen tagen, dass gemas den Wunschen des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber eine Sozialtherapie 2.0 schafft, namlich neue Bauten, neues Personal und ein neues Behandlungssetting fur Sicherungsverwahrte, die alle unter Erfolgszwang zu therapieren sind: ist die therapie nicht geeignet, diesen Verwahrten zum Erfolg zu fuhren, ist er auch bei fortgesetzter Gefahrlichkeit in Freiheit zu entlassen. Existiert allerdings Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2013) 7:149–150 doi 10.1007/s11757-013-0229-0


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2018

Lebensverlauf, Zufall und individuelle Kriminalprognose

Hans-Ludwig Kröber

ZusammenfassungRetrospektiv den Lebensverlauf eines anderen Menschen zu beschreiben, ist ein Akt der Geschichtsschreibung, mit all ihren Problemen. Zu unterscheiden ist zwischen den historischen Geschehnissen und ihrer zeitlichen Abfolge, also der im besten Fall einigermaßen vollständigen und durch Indizien, Spuren, Dokumente gesicherten Chronik (res gestae) einerseits. Ihr gegenüber steht die ordnende, Zusammenhänge herstellende Repräsentation dieser Geschehnisse in einem von Menschen geschaffenen, um Nachvollzug oder Rekonstruktion bemühten Narrativ, die Geschichtsschreibung (historia rerum gestarum). Narrativ heißt zu Deutsch: eine Geschichte. Forensische Psychiater und Psychologen sind in einem erheblichen Umfang mit dem Verfassen von Biografien befasst, bei denen es sinnvoll wäre, sich der Irrtumsmöglichkeiten und auch der Möglichkeiten zu fahrlässigem Handeln bewusst zu sein. Das Verfassen der Biografie über einen anderen erfolgt in einem Machtzusammenhang; die erstellte Lebensgeschichte hat möglicherweise schwerwiegende Folgen für den Biografierten. Sie steht unter Wahrheitspflicht, auch wenn nur Annäherungen an die Wahrheit möglich sind, v. a. durch größtmögliche Sorgfalt und Unvoreingenommenheit. Zu den Hauptgefahren zählen die vorschnelle Formatierung und Reduktion der Biografie auf erlernte kriminologische oder psychologische Schemata. Abgelehnt wird jedoch das Angebot, die Reduktion der Informationen auf die Spitze zu treiben und für die Prognostik künftigen Legalverhaltens nur noch die systematisch reduzierten Informationen der standardisierten Instrumente zu verwenden.AbstractTo retrospectively describe the course of life of another person is an act of writing history, with all its problems. A differentiation must be made between the historical events and their temporal sequence, in the best case scenario by a somewhat complete chronicle (res gestae) confirmed by indications, hints and documents. In contrast, there is the regulatory, association-forming representation of these events in a narrative construed by people for re-enactment or reconstruction, history writing (historia rerum gestarum). In German, narrative means: a history. Forensic psychiatrists and psychologists are concerned to a considerable extent with the drafting of biographies, in which it would be reasonable to be conscious of the possibilities for errors and also the possibilities for negligent actions. The composition of a biography about another person is carried out in association with power; the prepared life history possibly has severe consequences for the subject of the biography. It is duty bound to present the truth even if only approximations to the truth are possible, particularly by high diligence and impartiality. The main dangers include the premature formatting and reduction of the biography to previously learnt criminological or psychological schemata; however, the proposal to carry the reduction of information to extremes and to use only the systematically reduced information of the standardized instruments for the prognosis of future legal behavior is rejected.


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2018

Opferstatus und Erwähltheit

Hans-Ludwig Kröber

Die in Filmen, Novellen und Medien simplifizierte Psychoanalyse erweckt den Eindruck, man müsse nur retrospektiv in der fernen Vergangenheit das eine, besondere, folgenreiche Erleben finden, das Trauma, welches die Triebschicksale verwirbelt und sich tief ins Ubw, ins Unbewusste, eingewühlt hat und dadurch der Erinnerung verloren ging. Hat man es gefunden, nacherlebt, versprachlicht, dann ist die fatale Unwucht dieses Lebens beseitigt, dann läuft fürderhin alles rund, und man weiß vor allem, warum das bislang nicht so war. Normalerweise suchen nur unglückliche Menschen nach solchen Ursachen, und entsprechend gibt es eine hohe statistische Assoziation zwischen Unglück und derart gefundenen Ursachen. Allerdings unterziehen sich auch viele vergleichsweise gut funktionierende Menschen einer psychoanalytischen oder tiefenpsychologischen Behandlung zwecks Selbsterfahrung und Vorbereitung auf den Beruf des Therapeuten. Interessanterweise findet man auch bei diesen Psychotherapien selten die Ursachen dafür, dass man so zufrieden, arbeitsund liebesfähig vor sich hin lebt, sondern blickt schaudernd in Abgründe, denen man anscheinend dank Resilienz noch knapp entronnen ist. „Der kleine Hans“, dessen aus Mutterliebe geborene Angst vor Pferden Freud (1909) etwas unorthodox über seinen Vater therapierte, wurde ein eminent erfolgreicher Opernregisseur. Nicht entronnen ist dem späteren Unglück allemal jener, der späterhin Straftaten begeht, Gewaltund Sexualstraftaten oder Banküberfälle. Bereits die Delinquenz, zumal die wiederholte, indiziert die „psychische Störung“ und verlangt strikt nach Deliktbearbeitung, zumal, wenn man nun mit Sicherungsverwahrung und psychiatrischer Maßregel bedacht wurde. Tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapien sind traditionell geneigt herauszufinden, dass der Verurteilte ein Opfer von Kindheitserlebnissen ist, die sich in der Jugend fortsetzten. Gruppentherapeutische Verfah-


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2016

Der reformierte § 63 StGB

Hans-Ludwig Kröber

Der Deutsche Bundestag hat am 28.04.2016 in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Novellierung der strafrechtlichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB verabschiedet und zudem auch eine Änderung im Hinblick auf § 64 StGB vorgenommen. Detailliert nachlesen kann man dies in der Bundestags-Drucksache 18/7244. Ausgangspunkt der Überlegungen war der deutliche Anstieg der durchschnittlichen Unterbringungsdauern, „ohne dass es konkrete Belege für einen parallelen Anstieg der Gefährlichkeit gab“. Das ist ein schlagendes Argument für eine Intervention. Die Umsetzung des Schröder-Mottos „Wegschließen – und zwar für immer!“ durch die immer ängstlicheren Maßregel-Kliniken und Strafvollstrecker erwies sich als enorm kostenträchtig. Wenn ein reiches Bundesland wie Bayern schon vor Jahren ein Viertel seines Sozialetats für Maßregelvollzug ausgibt, tut das weh. In der Begründung der Gesetzesnovelle werden Zahlen genannt. Noch 2000 waren in den alten Bundesländern 4089 Personen gemäß § 63 StGB untergebracht, am 31.12.2010 waren es 7752 Patienten. In der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB befanden sich am 31.12.2013 im früheren Bundesgebiet 3763 Personen. (Fünfundzwanzig Jahre nach der Wende gibt es immer noch keine Gesamterfassung mit den neuen Bundesländern!) Der Tagessatz liegt durchschnittlich bei 280 Euro; allein die § 63-Patienten in den alten Bundesländern kosteten 2010 täglich 2,17 Mio. Euro, im Jahr 800 Mio. Euro. Parallel zur Überschreitung der Schmerzgrenze bei den Kosten kam es seitens des Bundesverfassungsgerichts zu


Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | 2012

Psychisches Leiden@@@Suffering from unsound mind

Hans-Ludwig Kröber

Gutachterlich wurde für ein Oberlandesgericht festgestellt, dass dem Sicherungsverwahrten noch nie eine wesentliche psychische Störung zugesprochen worden war, die für seine tatentscheidungen bedeutsam gewesen wäre – obwohl der intelligente Mann früh straffällig geworden war und als Siebzehnjähriger bereits eine Vierzehnjährige getötet hatte. Dass er, zuletzt vor knapp 18 Jahren, wiederholt Vergewaltigungen begangen oder versucht hatte, sogar im hafturlaub, beruhe auf normalpsychologischen Antrieben. Seine dissoziale Egozentrik und Rücksichtslosigkeit („Narzissmus“) seien in psychiatrischer Bewertung keine psychische Störung, die zukünftig seine Fähigkeit zur Entscheidungsund handlungskontrolle wesentlich vermindern würde. Das Bundesverfassungsgericht hob am 15.09.2011 die Entscheidung des OlG, den Mann bedingt zu entlassen, auf und erklärte in einem Obiter Dictum, es handele sich „bei dem Begriff der ‚psychischen Störung‘ in § 1 Abs. 1 Nr. 1 thUG [therapieunterbringungsgesetz; Anmerk. d. Autors] um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der mit den überkommenen Kategorisierungen der Psychiatrie nicht deckungsgleich ist. Ob seine Merkmale im Einzelfall erfüllt sind, haben die Gerichte eigenständig zu prüfen“ (Az. 2 BvR 1516/11, Rn 39). Versteht sich, wenn die angenommene psychische Störung den Kategorisierungen der Psychiatrie unbekannt ist, kann logischerweise nur ein Jurist diese Störung, den „unsound mind“ der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950, erkennen. Bemängelt wird vom Bundesverfassungsgericht zudem die gutachterliche Feststellung, der Verwahrte leide auch nicht an seiner Persönlichkeitsartung. Das Gutachten stelle mithin „auf das Fehlen eines subjektiven Leidensempfindens“ ab. Darauf komme es aber gar nicht an: „Dass die Betroffenen keinen oder nur einen geringen leidensdruck empfinden und sich subjektiv in ihrer Lebensführung nicht behindert fühlen, gehört jedoch zum Störungsbild einer dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörung (...) [zitiert wird ein lehrbuch der klinischen Psychologie; Anm. d. Autors] und schließt daher für sich genommen das Vorliegen einer ‚psychischen Störung‘ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 thUG nicht aus. Entscheidend ist ... vielmehr der Grad der objektiven Beeinträchtigung der Lebensführung in sozialer und ethischer Hinsicht. Dieser Grad ist anhand des gesamten – auch des strafrechtlich relevanten – Verhaltens des Betroffenen zu bestimmen“ (Az. 2 BvR 1516/11, Rn 40; Kursivhervorhebung vom Autor). Ersetzt werden soll also subjektives leiden als Konstituens „psychischer Störung“ durch „objektiv“ gesichertes abweichendes Sozialverhalten, das ethisch (!) zu missbilligen ist. Deswegen scheut man sich auch nicht, „ernsthaft unverantwortliches Verhalten“ als Musterfall einer „psychischen Störung“ im Sinne des thUG zu nennen, obwohl diese Formulierung eine ausschließlich moralisch-normative Bewertung ist, die wohl auf das Gros der Fälle von Kriminalität angewandt werden kann. Solche lebensführungsbeurteilungen „in sozialer und ethischer hinsicht“ macht dann am besten ein juristischer Gutachter mit der Befähigung zum Richteramt; Kompetenz zur psychiatrischen Diagnostik könnte da eher stören. Man fragt sich allerdings, ob das Bundesverfassungsgericht den § 1 des ThUG nur flüchtig gelesen hat. Da steht nämlich explizit, dass man einer Person eine unbefristete zwangstherapie zukommen lassen kann, „wenn sie an einer Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2012) 6:60–61 DOi 10.1007/s11757-011-0149-9

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Norbert Leygraf

University of Duisburg-Essen

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