Herfried Münkler
Humboldt University of Berlin
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Featured researches published by Herfried Münkler.
Archive | 2002
Herfried Münkler
Der Begriff der Burger- bzw. Zivilgesellschaft avancierte mit den demokratischen Umbruchen in Mittel- und Osteuropa am Ende der 80er Jahre zu einem politischen Zentralbegriff. Hatte der Begriff civil society dort zuvor schon eine oppositionelle Funktion erfullt, indem er die Sphare der burgerlichen Gesellschaft gegen den totalitaren oder zumindest autoritaren Staat geltend machte, so wurde das Konzept nach 1989, zumal in demokratietheoretischen Kontexten, auch in den westlichen Gesellschaften zunehmend attraktiv.
Archive | 2004
Herfried Münkler
Die Entwicklung des internationalen Terrorismus im letzten Jahrzehnt ist weniger von seiner Ideologie als von seiner Strategie her zu entschlusseln. Wahrend im Sozialrevolutionaren und ethnoseparatistischen Terrorismus ideologische Vorgaben dominant waren (und sind) und aus ihnen Strategie und Taktik von Anschlagen abgeleitet wurden, hat sich in den jungeren Formen des internationalen Terrorismus die Grammatik der Gewalt gegenuber den politisch-ideologischen Vorgaben in hohem Mase verselbstandigt bzw. diese politisch-ideologischen Vorgaben sind von vornherein nur noch schwach ausgepragt. Man kann mithin von einer Ersetzung des Primats der Politik durch den Primat der Strategie sprechen bzw. einer Verselbstandigung von Gewaltstrategien gegenuber deren ideologischen Rechtfertigungen. Dies hat weitreichende Folgen fur die Organisationsstruktur terroristischer Gruppen, unter anderem in der Ersetzung hierarchischer Kommandostrukturen durch segmentare Netzwerkorganisationen, aber auch im Hinblick auf die Auswahl der Ziele terroristischer Anschlage und die aus den Handlungsimperativen terroristischer Akteure abzuleitende Erfordernis bzw. Nichterfordernis zu Begrenzung oder Nichtbegrenzung der bei diesen Anschlagen zu erwartenden Opfer. Im Verlauf der 90er Jahre des 20.
Archive | 1994
Herfried Münkler
Es ist bemerkenswert, das fast alle politischen Gemeinwesen zum Zwecke ihrer Selbstdarstellung immer wieder auf Mythen zuruckgegriffen haben: Theseus und Romulus, Moses und Lykurg, Stadtegrundungen durch romische Soldaten oder genealogische Abkunft von trojanischen Fluchtlingen, Kaisersage und Reichsvision, Bastillesturm und Boston Tea Party, dazu die zahlreichen Heiligen, die als Versinnbildlichung politischer Gemeinwesen gedient haben — wie verschieden die genannten Beispiele auf den ersten Blick auch sein mogen, eines ist ihnen gemeinsam: In allen Fallen geht es darum, das durch sie der Gemeinschaft, die sich auf sie beruft, Sinn und Identitat verliehen wird. Entweder handelt es sich um Erzahlungen, die gegen die Dunkelheit des Vergangenen abgrenzen, indem sie von einem Grundungsakt, dem Beginn des Gemeinwesens, berichten, etwa in der Erzahlung von den Wolfskindern Romulus und Remus, oder in dem Bericht von der Herausfuhrung der Juden aus Agypten durch Moses und den anschliesenden 40jahrigen Marsch durch die Wuste (vgl. Walzer, Exodus), oder durch die Herausstellung jenes Mannes, der mit einem Bundnis germanischer Stamme drei romische Legionen besiegt hat. Immer wird ein Anfang markiert, der gleichwohl mehr ist, als ein bloses historisches Datum: Der politische Mythos unterscheidet sich vom historischen Bericht — auch wenn beide nicht immer sauber zu trennen sind (dazu Wulfing u.a., Historische Mythologie) — darin, das es ihm weniger um das Ereignis als solches, sondern mehr um die Sinnhaftigkeit des Vorgangs geht.
Archive | 1997
Herfried Münkler
Es ist keineswegs selbstverstandlich, den Wandel politischer Institutionen mit der Frage nach Funktion und Wirkung politischer Mythen in Zusammenhang zu bringen; darum zunachst einige knappe Uberlegungen zu Art und Funktion dieses Zusammenhangs, wobei ich damit beginne, das ich — gleichsam als Bindeglied — einen dritten Begriff hinzufuge: den des kollektiven Gedachtnisses. Diese Begriffstriade von „Institution“, „politischem Mythos“ und „kollektivem Gedachtnis“ wird auch im weiteren die Grundstruktur meiner Uberlegungen bilden, die sich in systematischer Hinsicht mit dem Zusammenhang zwischen Institutionenbegrundung bzw. Institutionenwandel, politisch legitimierenden und sinnhaft orientierenden Narrationen, also politischen Mythen, sowie dem kollektiven Gedachtnis einer politischen Gemeinschaft beschaftigen. Exemplifizieren will ich dies an der Geschichte der DDR, konkret an deren Versuch, durch die Schaffung eines eigenen kollektiven Gedachtnisses den Bruch sinnfallig zu machen, der mit der Grundung des „ersten deutschen Arbeiter- und-Bauern-Staates“ gegenuber der deutschen Geschichte bis 1945 vollzogen wurde, und zugleich die Distanz zu markieren, die sie, die DDR, von der Bundesrepublik Deutschland als dem anderen nach 1945 bzw. 1949 auf dem Territorium des Deutschen Reichs entstandenen Staat trennte. Dieses eigene kollektive Gedachtnis war fur die DDR nicht zuletzt auch darum so bedeutsam, weil sich die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches verstand und ihr Grundgesetz den Anspruch erhob, fur alle Deutschen Geltung zu haben, also auch fur jene, die auf dem Boden der DDR lebten. Gegen diesen durch den Verweis auf eine gemeinsame Geschichte getragenen Wiedervereinigungsanspruch der Bundesrepublik setzte die Partei- und Staatsfuhrung in der DDR nach ihrer deutschlandpolitischen Wende in der Mitte der 50er Jahre (vgl. Weber 1993, S. 44 f.), als sie die zuvor vertretene Vereinigungsperspektive aufgab und zu einer langfristig angelegten Politik der Eigenstaatlichkeit der DDR uberging, den Versuch, sich ein eigenes kollektives Gedachtnis zu verschaffen, das sich von dem der Bundesrepublik klar unterschied. Die Arbeit an einem eigenen kollektiven Gedachtnis begann jedoch nicht erst mit dieser deutschlandpolitischen Wende, sondern reicht zuruck bis in die unmittelbare Nachkriegszeit, d.h. in die Kontroversen um die Konsequenzen, die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus zu ziehen seien.
Archive | 2008
Herfried Münkler; Karsten Malowitz
Im Konzept der humanitaren Intervention werden zwei Begriffe miteinander verbunden, die aus ganz unterschiedlichen Kontexten stammen und zur Kennzeichnung von Handlungen dienen, die einander eher auszuschliesen als zu erganzen scheinen. So verweist der heute geradezu inflationar gebrauchte Begriff „humanitar“ auf das Selbstverstandnis und die karitative Praxis zahlreicher Hilfsorganisationen, die sich dem Prinzip der humanitas, der Menschlichkeit verpflichtet fuhlen und Notleidenden ohne Rucksicht auf deren religiose, ethnische oder politische Zugehorigkeit Hilfe leisten.1 Dagegen findet der Begriff der „Intervention“ seine Verwendung vornehmlich in der internationalen Politik, wo er dazu dient, eine gesteigerte Einflussnahme auf einen Staat bis hin zur direkten Einmischung in dessen innere und ausere Angelegenheiten durch einen anderen Staat zu beschreiben (vgl. E.-O. Czempiel 1994: 402; K. Ebock 2000: 53ff.; W. Woyke 2006: 267ff.). Ausgehend von diesen beiden Verwendungsweisen fallen unter das Konzept der humanitaren Intervention also ganz allgemein alle Formen der mit einem bestimmten Mas an Druck ausgeubten Einflussnahme auf bzw. die Einmischung eines Staates in die politischen Entscheidungen eines anderen Staates, die mit dem Zweck der Durchsetzung humanitarer Ziele unternommen werden.
Archive | 2007
Grit Straßenberger; Herfried Münkler
Will man die Bedeutung der Politikwissenschaft fur die Politik knapp benennen, so besteht sie darin, das prinzipiell risikoreiche Unternehmen politischen Handelns in kritischer Distanz wie engagierter Analyse zu begleiten. Politische Entscheidungen haben, auch wenn sie unter Zeitdruck gefallt werden und sich scheinbar nur auf die Losung anstehender Probleme richten, Langzeiteffekte, die Rahmenbedingungen fur zukunftiges Handeln abstecken. Obendrein werden die Entscheidungen selbst schon immer unter Bedingungen getroffen, die nicht konsequenzlos ignoriert werden konnen. Politikwissenschaft stellt in diesem Sinne auch eine Evaluation der Risiken dar, die mit politischem Handeln verbunden sind, die politischen Entscheidungen vorangehen und die aus ihnen erwachsen. Das Risiko ist nicht blos eine Moglichkeit, mit der politisch Handelnde rechnen mussen, sondern ihr standiger Begleiter: Politik ist ein Handeln, das sich grundsatzlich unter Bedingungen von Ungewissheit vollzieht und das diese Ungewissheit in ein kalkulierbares Risiko zu uberfuhren sucht.
Archive | 2005
Herfried Münkler; Anna Loll
So wie man eine Idee von ihrer konkreten Umsetzung unterscheiden muss, sollte man auch die Demokratie nur mehr als die Verwirklichung eines Ideals behandeln. In gesellschaftspolitischen Zusammenhangen sind die faktischen Umstande und nicht der ideale Entwurf letzten Endes entscheidend. Redet man uber Demokratie, kann man sich deswegen nicht nur auf die Idee beziehen, wie sie in den Texten der politischen Ideengeschichte oder auch in der Verfassung vorgefunden werden, sondern man muss ebenso die qualitative Ebene in Betracht ziehen, namlich das Funktionieren eben dieser Institutionen gemas den Prinzipien, auf denen sie beruhen. „No se puede transitar en un camino en mal estado“ — man kann auf einem zerstorten Weg nicht gehen, so lautet ein argentinisches Sprichwort: Selbst wenn der Weg eigentlich vorhanden ist, die Strukturen theoretisch moglich sind, mussen sie sich doch in der Praxis als begehbar erweisen. Eine Demokratie funktioniert nicht von selbst, die Institutionen der Demokratie mussen von der jeweiligen Gesellschaft unterstutzt werden und in ihr verankert sein, sonst verlieren sie ihre Kraft.
Archive | 1990
Herfried Münkler
Nicht nur im strikt kunstlerischen Sinn, so beschreibt Arnold Gehlen in Zeit-Bilder das Selbstverstandnis der modernen Malerei am Beginn des Jahrhunderts, seien Expressionismus und Kubismus revolutionar gewesen — auch in politischer Hinsicht hatten sie ihre Sympathien fur die revolutionare Veranderung der Gesellschaft mehr oder minder offen gezeigt: „Man hort die gesinnungsmasigen Obertone mit“, schreibt Gehlen (ZB: 150), nicht ohne distanzierenden Unterton. Die kunstlerische Avantgarde stand in Opposition zu den bestehenden politischen Verhaltnissen, sie verachtete die burgerliche Kultur, und ihre politischen Sympathien galten der Linken.
Archive | 2011
Herfried Münkler
Politisches Handeln, das mehr sein will als bloses Hantieren an den Stellschrauben des Systems, muss narrativ eingebettet sein. Es muss sich als Schritt in einem langfristigen Projekt erklaren konnen. Das kann die dauerhafte Sicherung des Wohlstands trotz der Krisenanfalligkeit des Weltmarkts sein, die Schaffung eines geeinten und friedlichen Europa in einer nach wie vor unfriedlichen Welt oder auch die Herstellung einer Weltordnung, in der es weder Kriege noch Hunger und Not gibt. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Einigung Deutschlands unter einem einheitlichen politischen Dach eine solche grose Erzahlung. Anfang des 20. Jahrhunderts war es dann der Kampf um den beruhmten „Platz an der Sonne“, und einige Jahrzehnte spater waren es die Erzahlungen vom „Kampf der Rassen“ und von der Volksgemeinschaft, die als narrative Einbettung einzelner Schritte und Masnahmen der operativen Politik dienten.
Archive | 2008
Herfried Münkler
Die Euphorie, von der die Idee der humanitaren militarischen Intervention nach dem Ende des Ost-West-Konflikts getragen wurde, ist inzwischen verflogen. Geblieben sind eine Reihe von Auslandseinsatzen militarischer und humanitarer Art, bei denen vollig unklar ist, wie lange sie dauern werden und was die Masstabe sind, nach denen sie als erfolgreich oder gescheitert zu begreifen sind. Einmal mehr hat sich die politische Realitat den hochfliegenden Idealen gegenuber als uberaus zahlebig erwiesen. So kommt es nicht von ungefahr, dass wir auf humanitare Katastrophen im Gefolge von Kriegen und Burgerkriegen inzwischen wieder eher mit resigniertem Achselzucken reagieren als mit der engagierten Bereitschaft, auf der Stelle etwas dagegen zu unternehmen. Das von (1984) beobachtete zyklische Schwanken der Menschen zwischen Engagement und Enttauschung zeigt sich auch an dem Projekt eines bei schweren Menschenrechtsverletzungen umgehend erfolgenden Intervenierens der Weltgemeinschaft — oder doch zumindest der interventionsfahigen Staaten: Hatte Ulrich Beck Ende der 1990er Jahre noch in expliziter Absetzung gegen die Clausewitzsche Kriegsdefinition erklart, der Krieg sei zu einer „Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln“ geworden, worunter er „eine neue postnationale Politik des militarischen Humanismus“ verstand, „des Einsatzes transnationaler Militarmacht mit dem Ziel, der Beachtung der Menschenrechte uber nationale Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen“ (U. Beck 1999: 987), so besteht das Problem des UN-Generalsekretars inzwischen darin, dass er selbst in Fallen allseits unstrittiger schwerer Menschenrechtsverletzungen bei den interventionsfahigen Staaten vergeblich um die Bereitstellung von Truppen bittet und die Zusagen, die er schlieslich doch noch bekommt, allenfalls fur symbolische Prasenz, aber nicht fur effektive humanitare militarische Interventionen hinreichen.