Ralf Bohnsack
Free University of Berlin
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Publication
Featured researches published by Ralf Bohnsack.
Archive | 2001
Ralf Bohnsack
Abhandlungen zur Typenbildung nehmen ihren Ausgangspunkt in der Regel beim Idealtypus von Max Weber. Zwei Tradierungslinien oder auch Paradigmata sozialwissenschaftlicher Forschung, die fur die qualitative Forschung wegweisend sind, positionieren sich allerdings in je unterschiedlicher Weise zum Weberschen Konzept. Die eine Linie ist diejenige, wie sie in der Weber-Rezeption von Alfred Schutz im Zuge seiner Ausarbeitung der Phanomenologischen Soziologie begrundet wurde. Die andere ist diejenige der Wissens- und Kultursoziologie, vor allem von Mannheim und Bourdieu, die dort, wo sie auf Weber Bezug nehmen, nicht — wie Schutz und die meisten Weber-Interpreten — von den theoretischen und erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretischen Schriften Webers ausgehen, sondern sich auf eine Rekonstruktion seiner forschungspraktischen, d.h. historischen Arbeiten, vor allem der religionssoziologischen, beziehen.1
Archive | 2005
Ralf Bohnsack
Die nicht-standardisierte bzw. qualitative Forschung orientiert sich in ihren etablierten Stromungen an komplexen Standards — auch wenn diese bisher nur ansatzweise begrifflich expliziert wurden. Da diese Standards aus der Forschungspraxis heraus entstanden sind, geht deren Explikation der Praxis nicht voraus, sondern folgt erst nach erfolgreich etablierter Praxis auf dem Wege ihrer empirischen Rekonstruktion. Diese Art der methodologischen Begrundung und methodischen Verfahrensweise ist Kennzeichen einer „naturalistischen“oder „rekonstruktiven“Epistemologie und stellt ihrerseits bereits einen der wesentlichen Qualitatsstandards qualitativer Methoden dar. Im Sinne einer rekonstruktiven Vorgehensweise sind die wissenschaftlichen Konstruktionen wie auch deren Standards solche zweiten Grades. Den Konstruktionen und ihren Standards kommt nur dann Gultigkeit und Zuverlassigkeit zu, wenn sie in genauer Kenntnis, also auf dem Wege einer Rekonstruktion der Common Sense-Konstruktionen als solchen ersten Grades und deren Standards (der „naturlichen Standards“), entwickelt worden sind. Dabei zeichnen sich rekonstruktive Verfahren als wissenschaftliche Verfahren durch einen,Bruch mit dem Common Sense‘aus im Sinne eines Wechsels der Analyseeinstellung von der Frage danach, was die (gesellschaftliche) Wirklichkeit ist zur Frage danach, wie diese hergestellt wird.
Archive | 1992
Ralf Bohnsack
Nehmen wir als Beispiel fur eine Situation der Kommunikation bzw. Interaktion diejenige zwischen Arzt und Patient, wie sie uns wohl allen bekannt ist. Es lassen sich hier — wie in jeder Kommunikation — drei Anforderungen oder auch Sinnebenen unterscheiden: Die Beteiligten haben (1) die „objektiven“ Gegebenheiten einer Situation in Rechnung zu stellen, auch: Normen, Rollen oder institutionalisierte Verhaltenserwartungen genannt (hier: die Rollenbeziehung zwischen Arzt und Patient). Zugleich bringen die Beteiligten aber auch (2) ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten, biographischen Besonderheiten oder Personlichkeiten, also „subjektive“ Vorgegebenheiten mit in die Kommunikation ein (z.B.: ich bin mit meinem Hausarzt zugleich personlich befreundet).
Archive | 2013
Ralf Bohnsack; Iris Nentwig-Gesemann; Arnd-Michael Nohl
Die dokumentarische Methode hat inzwischen vor allem in den Sozial- und Erziehungswissenschaften ein breites Anwendungsfeld gefunden. Dieses reicht von der Rekonstruktion von Kindergesprachen, uber die Jugend- und Geschlechterforschung, die Organisationskulturforschung bis hin zur Wissenschaftsforschung. Neben der Auswertung von Gruppendiskussionen, offenen wie biographischen Interviews und Feldforschungsprotokollen ist auch die dokumentarische Interpretation von historischen Texten sowie von Bildern und Fotos erprobt und methodologisch reflektiert worden. Insbesondere im Bereich der Bild- und Fotointerpretation werden derzeit neue methodische Perspektiven erschlossen.
Archive | 2013
Ralf Bohnsack
Eines der anspruchsvollsten und zugleich einflussreichsten Modelle der Bildinterpretation stammt von dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky. Jene Sinndimension, die im Zentrum seiner Methode steht, namlich die ikonologische, bezeichnete Panofsky (1932, 115) auch als diejenige des „Dokumentsinns“. Er bezog sich damit explizit auf den Wissenssoziologen Karl Mannheim und dessen „dokumentarische Methode der Interpretation“. Wahrend damals, d.h. Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre, Panofsky die sozialwissenschaftlichen Arbeiten seines Zeitgenossen und (was die Zwangsemigration beider anbetrifft) auch Schicksalsgenossen Mannheim daraufhin befragt hat, inwiefern sie fur die Kunstgeschichte Relevanz gewinnen konnen, soll im Folgenden die umgekehrte Fragerichtung im Zentrum stehen: Inwiefern vermag die kunstgeschichtliche Methodik — vor allem diejenige, die in der Tradition von Panofsky steht und somit bereits durch die dokumentarische Methode beein-flusst ist — mit ihrer umfangreichen Erfahrung zur Entfaltung von Grundprinzipien der dokumentarischen Bild- und Fotointerpretation beizutragen.
Archive | 1998
Ralf Bohnsack; Arnd-Michael Nohl
Obschon das offentliche Interesse und die wissenschaftliche Forschung sich in jungster Zeit verstarkt den Jugendlichen auslandischer Herkunft zugewandt haben, ist der Zusammenhang von Migration und Adoleszenz bisher kaum systematisch untersucht worden1. Auf der Basis erster Ergebnisse eines Forschungsprojekts2 uber auffallige Jugendliche turkischer Herkunft sollen methodologisch komplexe empirische Zugange aufgezeigt werden. Gerade in diesem Forschungsfeld stellt die Kultur- und Milieuanalyse erhohte Anforderungen an das (methodisch kontrollierte) Fremdverstehen. Hierauf werden wir zunachst eingehen (1). Nach einer Diskussion des Migrations- und des Adoleszenzbegriffs (2 u. 3) werden Probleme der Migrationslagerung in unterschiedlichen Milieus von Jugendlichen typenhaft skizziert (4). Dabei gehen wir insbesondere der Frage nach, inwieweit Problemen und Risiken der Adoleszenzentwicklung, die von uns bisher bei deutschen Jugendlichen analysiert worden sind (Bohnsack 1989; Bohnsack u.a. 1995), bei jungen Einwanderern durch Erfahrungen der Migration modifiziert oder verscharft werden.
Archive | 2001
Ralf Bohnsack; Arnd-Michael Nohl
Die Frage danach, was heute noch als Spezifikum der Jugendphase gelten kann, lasst sich aufgrund umfangreicher qualitativer Studien im Milieu- und internationalen Vergleich beantworten: Die Jugendphase zeichnet sich in handlungstheoretischer Perspektive durch eine im zweckrationalen Sinne schwer fassbare eigene Rationalitat von Suchprozessen aus. Wir haben diese als „Aktionismen“ bezeichnet. Sie entfalten sich innerhalb eines (von den Jugendlichen z.T. selbst initiierten) Bildungsmoratoriums und gewinnen insbesondere unter Bedingungen des Verlusts von bzw. der Freisetzung aus tradierten Milieubindungen Bedeutung. Drei idealtypische Auspragungen aktionistischer Suchprozesse konnen empirisch rekonstruiert werden: die Erzwingung von Zusammengehorigkeit im Sinne einer episodalen Schicksalsgemeinschaft; sowie zwei unterschiedliche Wege der Milieubildung. Letztere vollziehen sich einerseits auf der Basis kollektiver und andererseits im Rahmen individueller Identitat, wie wir dies exemplarisch an der Analyse jugendlicher Breakdancer turkischer Herkunft aufweisen konnen.
Archive | 2006
Ralf Bohnsack
Der folgende Beitrag ist in seinem empirischen Teil aufgrund eines ‚Auftrages‘ entstanden. Die Veranstalter der „Fachtagung Bildinterpretation“, Winfried Marotzki und Horst Niesyto, hatten im Zuge der Vorbereitung folgende Anfrage an die Referent(inn)en gerichtet: „Diesem mail beigefugt sind drei Fotos. Die Fotos stammen aus einem Forschungsprojekt uber die Lebenswelt von Kindern aus Migrationskontexten. Entsprechend dem Vorschlag in der Tagungsankundigung (unter ‚Gegenstand‘) ist die Bitte, dass alle Vortragenden in ihrem 2. Vortragsteil auf der Grundlage ihres jeweiligen Ansatzes 1–2 dieser Fotos interpretieren (Genaue Kontextinformationen zu diesen Fotos werden erst am Ende der Tagung im Rahmen des Vortrages von Niesyto/ Holzwarth gegeben)“.
Archive | 1998
Ralf Bohnsack
Ublicherweise ist es die Gegenuberstellung von „qualitativer” und „quantitativer” Sozialforschung, die als (Leit-)Differenz dient, um eine bzw. die zentrale Kontroverse innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methodologie zu markieren. Damit wird allerdings ein Gegensatz konstruiert, der so nicht sinnvoll ist, da die entscheidende methodologische und erkenntnistheoretische Differenz damit nicht adaquat erfast wird. Eine methodologisch relevante Differenz ist vielmehr dort auszumachen, wo es um die Frage geht, ob und inwieweit die Sozialforscher und Sozialforscherinnen dem Rechnung tragen, das nicht nur sie selbst, sondern auch diejenigen, die Gegenstand der Forschung sind, Erfahrungen sammeln, Interpretationen erbringen, Theorien konstruieren und auch uber „Methoden” der Erfahrungsgewinnung verfugen.
Archive | 2002
Ralf Bohnsack; Burkhard Schäffer
In Soziologie und Erziehungswissenschaft hat der Generationenbegriff eine ungeahnte Renaissance erfahren. Betrachtet man einschlagige Publikationen, so scheint sich gerade nach der Wende und den damit verbundenen Reflexionen auf Prozesse zeitgeschichtlichen Wandels (vgl. u.a. Joas/Kohli 1993) das Generationenkonzept (wieder) als ein Schlusselbegriff fur die Bearbeitung gesellschaftlichen Wandels anzubieten. Dabei werden in vielen soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Publikationen jungeren Datums „Generationenbeziehungen“ auf der „Mikroebene“1 unterschieden von „Generationenverhaltnissen“, die als makrosoziologische Phanomene behandelt werden.’ Ahnlich argumentieren Kohli und Szydlik (2000), die „familiale“ von „gesellschaftlichen Generationen“ abgrenzen, wobei letztere sich in „politische“, „okonomische“ und „kulturelle” Generationen differenzieren lassen. Dabei betonen sie, dass nur eine Kombination verschiedener Perspektiven das Potenzial des Generationenbegriffs insgesamt erschliesen konnte. Dieses quasi additive Generationenkonzept hat Kohli bereits 1996 folgendermasen auf den Punkt gebracht: „It is only by linking family generations, economic generations and political generations that the concept of generations can unfold its potential“ (Kohli 1996, S. 6).