Markus Rieger-Ladich
University of Tübingen
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Featured researches published by Markus Rieger-Ladich.
Archive | 2004
Markus Rieger-Ladich
Bemuht man sich um eine erste, noch recht grobe Eingrenzung des Zeitraums, innerhalb dessen sich Michel Foucault fur die Untersuchung historischer Subjektivierungsformen zu interessieren beginnt, ist es hilfreich, sich jenen beiden Vortragen zuzuwenden, die er vor der Societe francaise de philosophie in Paris halt. Als er 1969 unter dem schlichten Titel Was ist ein Autor? (vgl. Foucault 2001a) das Augenmerk auf die besonderen Voraussetzungen lenkt, denen die Kategorien Autor und Werk ihre Geltung verdanken, wird unweigerlich auch der Begriff des Subjekts auf neue, irritierende Weise in den Blick genommen: Statt das Subjekt noch langer als vorgangige Grose und als verlassliche Erkenntnisgrundlage zu betrachten, musse es vielmehr -so Foucault — als „variable und komplexe Funktion des Diskurses“ begriffen werden (Foucault 2001a: 1029), die auf historisch je spezifische Weise bestimmt werde. Die Kategorie des Autors, von der kaum behauptet werden konne, dass sie sich als sonderlich stabile und resistente historische Grose erwiesen habe, beschreibe lediglich eine charakteristische Weise, diese Funktion auszufullen. Ironischerweise war es dann der marxistische Literatursoziologe Lucien Goldmann, der sich in der Diskussion, die sich an den Vortrag anschloss, zum Anwalt des Subjekts erklarte und an Foucault die Frage richtete, ob er dieses damit nicht unzulassigerweise auf den Status einer blosen Funktion reduziere (vgl. Foucault 2001a: 1038).
Archive | 2009
Markus Rieger-Ladich; Norbert Ricken
Im zweiten Teil von Ulrich Peltzers Roman „Teil der Losung“ (2007) fi ndet sich eine kurze Passage, in der ein ungenannt bleibender politischer Aktivist einen der eigentumlich gesichtslosen Berliner Ausenbezirke inspiziert. In Vorbereitung eines Brandanschlags auf den Parkplatz der Bereitschaftspolizei pruft er die Umgebung, kalkuliert die Lange von Fluchtwegen und sucht abzuschatzen, wie das Verkehrsaufkommen zwischen zwei und drei Uhr nachts – dem Zeitpunkt der geplanten ‚Aktion‘ – sein wird. Hellwach registriert er unzahlige Details des Areals, nimmt das chaotische Arrangement von Baumarkten, Gartencentern und Tankstellen wahr. Dabei streift sein Blick ein historisches Gebaude, das er nicht zweifelsfrei bestimmen kann: „Hinter der Ampel ein Verwaltungsgebaude (oder eine Schule) aus der Grunderzeit, eines dieser Bauwerke, die jeden Besucher bereits beim Eintritt einen Kopf kleiner machen“ (Peltzer 2007, S. 303).
Archive | 2007
Markus Rieger-Ladich
Wird in wissenschaftlichen Diskursen — in Beitragen fur Fachzeitschriften etwa oder in offentlichen Vortragen — das Verhaltnis der einzelnen Disziplinen zueinander thematisch, ist mitunter eine spurbare Veranderung der Tonlage die unmittelbare Folge. Die semantischen Felder, die erschlossen, die Metaphern, die bemuht werden, um die komplizierten Beziehungen zu illustrieren, welche die Politikwissenschaft und die Soziologie, die Medizin und die Neurowissenschaften oder etwa die Erziehungswissenschaft und die Psychologie zueinander unterhalten, legen nahe, dass das haufig bemuhte Bekenntnis zum „interdisziplinaren Gesprach“ in die Irre fuhrt, wenn es darum geht, sich einen Eindruck von der spezifischen Qualitat der disziplinubergreifenden Kontakte zu verschaffen. Die drastischsten Bildwelten stellt hier zweifellos der Krieg zur Verfugung. Gleichwohl greift Wolfgang Lempert, als er zu Beginn der 1960er Jahre das Verhaltnis von „Padagogik und Soziologie“ zu erhellen sucht (Lempert 1963), ganz gezielt auf dieses Universum aus Gewalt und Zerstorung zuruck. Sein Beitrag, der die Konturen einer kunftigen padagogischen Soziologie entwirft, die er als gefahrlichen „Todesstreifen“ im Grenzgebiet zwischen soziologischem und padagogischem Diskurs bezeichnet, beginnt wie folgt: „Wer gegenwartig in Westdeutschland Padagogik und Soziologie studiert, kommt sich zuweilen wie zwischen zwei feindlichen Heeren vor. Zwar scheint die Zeit der ‚Kreuzzuge’, des Padagogismus und des Soziologismus [...] voruber; der ‚Stellungskrieg’, die Verteidigung der Autonomie des eigenen Faches gegen die behaupteten Herrschaftsanspruche der Nachbardisziplin jedoch dauert an [...]“ (Lempert 1963: 257).
Archive | 2006
Markus Rieger-Ladich
Sucht man sich einen groben Uberblick uber die Rezeption der Arbeiten Pierre Bourdieus innerhalb der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft zu verschaffen und die immer zahlreicher werdenden Beitrage etwas zu systematisieren, so erhalt man einen Befund, der auf eine eigentumliche Verzogerung hinweist. Auch wenn eine grosere Studie, welche die padagogische Bourdieu-Rezeption als Exempel eines Theorietransfers zwischen unterschiedlichen Disziplinen zweier nationaler Wissenschaftsfelder interpretierte, noch immer aussteht, so scheint doch unstrittig, dass der Zugriff auf dessen theoretische Instrumente hierzulande noch immer recht selektiv verlauft. Nachdem der Habitus-begriff und die Typologie dreier Kapitalsorten bereits in den 1970er Jahren vereinzelt aufgegriffen wurden und in der Folge nicht nur die List der „padagogischen Vernunft“ und die „stille Padagogik“ in den Blick gerieten (vgl. Mollenhauer 1976; Liebau 1987; Wittpoth 1994), sondern auch die Reproduktion sozialer Ungleichheit oder etwa die Hochschulsozialisation (vgl. Krais 1983; Muller-Rolli 1985; Friebertshauser 1992; Engler 1993; Krais/Engler 2004), sties der Begriff des Feldes innerhalb des padagogischen Diskurses doch erst relativ spat auf groseres Interesse. Dies ist durchaus bemerkenswert: Denn obwohl der Begriff des Habitus in systematischer Hinsicht eng mit jenem des Feldes verknupft ist und Bourdieu seit den 1980er Jahren grose Energie darauf verwendet, uber einzelne empirische Studien invariante Strukturmerkmale sozialer Felder auszuarbeiten (vgl. Raphael 2004: 272), wirkten diese Arbeiten in der deutsch-sprachigen Erziehungswissenschaft lange Zeit nicht in vergleichbarer Weise inspirierend.
Archive | 2005
Hans-Christoph Koller; Markus Rieger-Ladich
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Archive | 2014
Christian Grabau; Markus Rieger-Ladich
Der franzosische Philosoph und Historiker Michel Foucault ist fur den padagogischen Diskurs nicht allein als Machttheoretiker von besonderem Interesse, sondern auch durch seine intensive Thematisierung von Raumen und architektonischen Arrangements. Der Raum gilt ihm als ein kompliziertes Geflecht von Dingen und Menschen, die fortwahrend aufeinander einwirken; er wird konstituiert durch einander uberkreuzende Mechanismen der Einschliesung und Ausschliesung, durch die Anordnung von Korpern im Raum, die Zuweisung von Platzen, Rangen und Verrichtungen. Stellt man die damit verknupften Machtfragen konsequent in Rechnung, zeigt sich, dass sich auch die Fragen nach Identitat, Subjektivitat oder Individualitat des Menschen verandern: Diese bezeichnen dann nicht langer stabile Entitaten, sondern erscheinen als Produkte von Beziehungen, Bewegungsablaufen und Platzzuweisungen im Raum. Am Beispiel der Schule lasst sich denn auch sehr gut illustrieren, dass mit Blick auf das Lebensalter der Adoleszenz weniger mit Vorstellungen der Selbstwerdung, Sinnganzheit oder Koharenz operiert, sondern der Fokus auf gesellschaftlich gerahmte, raumlich dimensionierte Praktiken der Subjektivierung gerichtet werden sollte.
Archive | 2012
Markus Rieger-Ladich
Gilles Deleuze und Felix Guattari, Philosoph der eine, Psychoanalytiker der andere, stehen kaum im Verdacht, ausgesprochen langweilige und ermudende Bucher verfasst zu haben. Insbesondere ihre Koproduktionen zeichnen sich durch sprachliche Eleganz, verbluffende Argumente und scharfe Thesen aus (vgl. Deleuze/ Guattari 1976; 1992). Und doch fallt ihre Antwort auf die traditionsreiche, in der Vergangenheit mit schoner Regelmasigkeit traktierte Frage „Was ist Philosophie?“ zunachst uberraschend nuchtern, fast schon klassisch aus: Philosophie, so teilen sie in der Einleitung zu ihrem Buch mit, das diese Frage im Titel fuhrt, ist zunachst ganz schlicht „die Kunst der Bildung, Erfindung, Herstellung von Begriffen“ (Deleuze/Guattari 2000: S. 6).
Archive | 2004
Norbert Ricken; Markus Rieger-Ladich
Als zu Beginn der 1990er Jahre eine beachtliche Anzahl philosophischer Monographien erscheint, die sich intensiv mit den Arbeiten Michel Foucaults auseinandersetzen und dabei entweder einzelne Studien diskutieren, grosere Themenfelder zu identifizieren suchen oder eine verlassliche Einfuhrung in dessen unubersichtliches Gesamtwerk zu geben versprechen, werden diese in zwei Aufsatzen vorgestellt, die sich — von heute aus betrachtet — als eine erste, vorsichtige Zwischenbilanz der deutschsprachigen Foucault-Rezeption lesen lassen. Und obwohl die thematisch und methodisch hochst disparaten Studien keine einheitliche Foucault-Lekture verraten, lassen sie in ihrer Gesamtheit doch eine eigentumliche Fixierung auf normative Fragestellungen erkennen, deren problematische Folgen denn auch von den beiden Rezensenten eigens herausgestellt werden: So merkt Ulrich Johannes Schneider in seinem Literaturbericht kritisch an, dass hierzulande die unvoreingenommene Kenntnisnahme von Foucaults Schriften noch immer von hartnackigen Vorbehalten behindert werde, die insbesondere franzosischen Theoretikern entgegengebracht wurden (vgl. Schneider 1991).
Archive | 2017
Markus Rieger-Ladich; Christian Grabau
Im deutschsprachigen Raum hat die Auseinandersetzung mit den Arbeiten Pierre Bourdieus in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Veranderung erfahren. Besonders anschaulich lasst sich dies an der Person des in Frankfurt lehrenden Sozialphilosophen Axel Honneth erlautern: Hatte dieser noch Mitte der 1980er Jahre seinem franzosischen Kollegen in einem einflussreichen, die Rezeption zunachst pragenden Artikel unter dem Titel Die zerrissene Welt der symbolischen Formen (Honneth 1984) vorgeworfen, mit seinem mittleidlosen Blick auf Verteilungskampfe zeitgenossischer Gesellschaften nicht allein die Verhaltnisse dusterer zu zeichnen, als sie tatsachlich sind, sondern sich auch fur die moralische Dimension sozialer Konflikte vollig unempfanglich zu zeigen, lud er im Jahr 2002, kurz nachdem Bourdieu verstorben war, in seiner Funktion als Direktor des Instituts fur Sozialforschung nach Frankfurt am Main zu einer Konferenz ein, die dessen Arbeiten wurdigte – und nachdrucklich dafur warb, ihn als einen herausragenden Vertreter einer sich permanent erneuernden Kritischen Gesellschaftstheorie zu betrachten.
Archive | 2017
Markus Rieger-Ladich
Es scheint nicht eben viel dafur zu sprechen, den Versuch zu unternehmen, uber Emanzipation als soziale Praxis nachzudenken – insbesondere dann, wenn man dies als Erziehungswissenschaftler tut und sich zu diesem Zweck den Arbeiten Pierre Bourdieus zuwendet. Es sprechen, mindestens auf den ersten Blick, ungleich mehr Grunde dagegen als dafur.